Name und Äußeres wirken nicht gerade appetitlich. Doch das Innenleben des ,,Mannemer Dreck" kann sich schmecken lassen - und es ist ein Witz, eine augenzwinkernde Kritik an der Obrigkeit, dabei. Dazu muss man bis ins Jahr 1822, als der Großherzog regiert, zurückgehen. Der damalige Stadtamtsvorstand Philipp Anton von Jagemann, auch bekannt als Gründer der ,,Spar Cassa" (sprich Sparkasse), erlässt eine Vorschrift, die „Jedermann mit zwei Reichstalern Strafe belegt, der den im Hause gesammelten Kot mit Kehricht auf die Straße brachte", statt ihn vorschriftsgemäß hinter dem Haus zu entsorgen. Eine Kanalisation gibt es nämlich noch nicht.

Ein in Mannheim stadtbekannter Lebkuchenbäcker, Friedrich Brechter, wird von dieser Vorschrift ,,inspiriert" und gibt auf humorvolle, auch etwas provokante Art und Weise seinen Kommentar dazu ab. Er kreiert mit einem Schuss Ironie ein eigenartiges Gebäckstück mit Namen „Dreckhaufen“ und legt es in sein Schaufenster, was zur deutlichen Erheiterung der vorbeigehenden Passanten beigetragen haben soll - typisch Mannemer Mutterwitz gegen behördliche Regulierungswut.

Die auf Oblaten gebackene Schokoladenspezialität enthält Honig, Zucker, Nüsse, Orangeat, Zitronat, Zimt und andere Gewürze, wird handgemacht und stellt ein ganz hervorragendes Dauergebäck dar.

Mit Echtheitszertifikat gibt es das nur in ganz wenigen Mannheimer Traditionsbetrieben, die das historische Original-Rezept beherrschen - wobei jeder die Gewürze etwas variiert. Die Produktion geht in die Zehntausende und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Die Hersteller trotzten 1984 den Behörden, die monieren, ein Lebensmittel dürfe nicht „Dreck“ heißen, und Ende der 1990er Jahre sogar europäisch-bürokratischen Vorschriften, der regionalen Spezialität die Zusatzbezeichnung „lebkuchenartiges Gebäck" aufzudrücken.

Bluesröhre Joy Fleming setzt 1972 dem Häufchen mit einem Song (auf der gleichen Single wie ihr berühmter Neckarbrücken-Blues) ein musikalisches Denkmal (,,Isch sing Eich e Lied vun Dreck, der is so zuckersüß" und „Wenn jeder Dreck uff derre Welt so wie mein Mannemer wär..."), während Autor Rainer Martin 2006 seinen ersten Krimi ,,Mannemer Dreck" betitelt.

Das alte, in seiner Urform überlieferte Rezept ist noch heute im Besitz der Konditorei Herrdegen, im Rezeptbuch von 1862 des damals 17-jährigen Konditors Carl Herrdegen. Inzwischen führen die Schwestern Martina und Simone Herrdegen den 1838 gegründeten Traditionsbetrieb. Mit „Mannemer Dreck" machen sie nach wie vor viel Umsatz. „Die Nachfrage ist sehr groß, wir kommen kaum nach“, sagt Martina Herrdegen: „Es ist einfach Kult!" Nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern das ganze Jahr sei eine Packung mit dem Gebäck als Geschenk begehrt. Früher habe ihr Vater das Produkt auch ins Ausland verschickt, aber das rentiere sich wegen der Frachtkosten nicht mehr.

„Aber zu uns kommen viele Kunden, die es mit auf Reisen nehmen, selbst verschicken oder als Geschenk kaufen", berichtet Martina Herrdegen.

„Bei uns kaufen es viele Studenten, wenn sie nach Hause fahren und etwas mitbringen wollen", berichtet Gwendolyn Wenzlaff vom Café ,,Mohrenköpfle", das auch zu den wenigen Traditionsbetrieben zählt, die diese Backspezialität vertreiben: „Viele Käufer erzählen uns auch, dass sie die Packung nach Amerika schicken." Wenzlaff bietet das Gebäck sogar eigens in Miniatur-Plastikmülltonnen an, in schwarz und gelb.

„Das ist ein Gag, der besonders gut ankommt, das machen nur wir", sagt sie. Wenn aber ein Kunde auf Hochdeutsch ,,Mannheimer Dreck“ verlange, müsse sie ihn enttäuschen. ,,Hawwe mer net", sagt sie dann schmunzelnd, nur ,,Mannemer Dreck“ gebe es, „und dann lachen wir zusammen". Peter W. Ragge