Es ist Inbegriff abendländischer Weihnacht, gilt als erster Welthit der Musikgeschichte und das beliebteste deutschsprachige Lied überhaupt: „Stille Nacht, Heilige Nacht", von Helene Fischer über Jose Carreras bis Max Raabe gesungen und bislang in über 230 Sprachen übersetzt. Doch auch wenn es über 200 Jahre alt ist, wurde es erst 1995 ganz offiziell in den Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs aufgenommen und auch das katholische „Gotteslob" führt das Lied aus dem Salzburger Land noch nicht lange auf.

Gesungen wurde es erstmals am 24. Dezember 1818. Geschrieben hat es schon 1816 der katholische Hilfspriester Joseph Mohr für die nur 2076 Seelen zählende Gemeinde Mariapfarr im Südosten des Landes Salzburg in bitterer Zeit, denn die napoleonischen Kriege sind da gerade erst beendet und die Menschen sehnen sich in einer Zeit heftiger politischer Neuordnungen und willkürlicher Grenzverschiebungen nach Geborgenheit und himmlischer Ruh. Zudem herrscht Hunger. Im April 1815 war auf der indonesischen Insel Sumbawa der Vulkan Tambora ausgebrochen, und der Schleier der ausgestoßenen Asche verdunkelt nicht nur die Sonne weltweit und senkt die Temperaturen so, dass 1816 als das kälteste Jahr der Wetteraufzeichnungen gilt-es sorgt auch für schlechte Ernten, für Armut und Not.

Priester Mohr will für Hoffnung sorgen, fasst seine Worte in ein sechsstrophiges Gedicht, in dem der Gottessohn als Heils- und Friedensbringer bezeichnet wird. ,,Da uns schlägt die rettende Stund', Jesus in Deiner Geburt" - das soll Hoffnung und Mut machen.

Erst zwei Jahre später wird aus dem Gedicht ein Lied. Joseph Mohr, inzwischen nach Oberndorf an der Salzach versetzt, trifft da auf Franz Xaver Gruber, Dorflehrer und -wie damals üblich- Organist in der Kirche St. Nikola. Er vertont das Gedicht. Lange hält sich die Legende, die kurz vor Weihnachten durch eine Kirchenmaus defekt gewordene Kirchenorgel in der Oberndorfer Kirche hätte spontan die beiden Freunde zu diesem Lied inspiriert. Jedenfalls erklingt es nicht im Gottesdienst selbst. Mohr öffnet direkt nach dem Gottesdienst seinen Gitarrenkoffer. Er spielt es an der in der Kirche aufgestellten Krippe, und alle singen mit. Wohl daraus hat sich die Tradition entwickelt, dass das Lied meist nach der Liturgie ganz am Schluss des Gottesdienstes in der dann - bis auf wenige Kerzen abgedunkelten - Kirche gespielt wird.

Immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO

Obwohl auf Franz Xaver Gruber 66 deutsche und lateinische Messvertonungen zurückgehen, dazu weitere geistliche Lieder, hat ihm insbesondere dieses eine Lied einen Platz in der Musikgeschichte beschert. Viele Vertreter von Musikwissenschaft, Kirchen- und Liturgiegeschichte haben sich in den letzten Jahren der Erforschung der Geschichte gewidmet. Es gibt sogar eigens eine „Stille-Nacht-Gesellschaft", welche die Öffentlichkeit regelmäßig über Forschung informiert.

Daher weiß man auch, dass das Lied über den Orgelbauer Karl Mauracher, der zeitweise in Oberndorf arbeitete, ins Zillertal gelangt, das durch seine singenden Handwerkerfamilien bekannt ist. Eine davon greift es auf und verbreitet es. 1831 singen es die Geschwister Strasser aus Tirol anlässlich der Leipziger Messe in der Pleißenburg von Leipzig. Die Zuhörer sind begeistert, und das erkennt der Dresdner Buchhändlers August Robert Friese. Er lässt Noten und Text mitschreiben und druckt das Lied, aber nur die drei Strophen, die er als besonders ausdrucksstark und zu Herzen gehend empfindet.

Das ist wohl entscheidend für die weitere Verbreitung des Liedes - ebenso wie die Industrialisierung, die Drucke und deren Verbreitung billiger macht. Nachdem der Kirchenmusiker Carl Gottlob Abela das Lied wenige Jahre später in seine Liedersammlung übernimmt und weil er seit 1842 Gesanglehrer im berühmten Franckeschen Waisenhaus in Halle ist, lernten die Kinder dieses Lied singen und verbreiteten es weiter.

In Halle lernt auch der Gründer des Rauhen Hauses in Hamburg, Johann Heinrich Wichern, das Lied kennen. Er übernimmt es für das jugendliche Liederbuch ,,Unsere Lieder" und macht es auch im Norden populär. Auswanderer, die vom Hamburger Hafen aus in die neue Welt aufbrechen, haben das Liederbuch und damit ,,Stille Nacht" im Gepäck, und die singende österreichische Familie Rainers, verbreitet es auf ihren Tourneen. Der Siegeszug des Liedes um die Welt beginnt. An Heiligabend 1914 erklingt es, als die Waffen kurz schweigen, in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges in gleich mehreren Sprachen. Seit 2011 ist das Lied, inzwischen millionenfach auf Schallplatte und CD verbreitet, von der UNESCO in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. Peter W. Ragge