Mit Michael Mittermeier ein Interview zu führen, fühlt sich keineswegs wie journalistische Routine an. Denn obwohl der populäre Comedian sein Gegenüber noch gar nicht einschätzen kann, sind seine Antworten von erstaunlicher Offenheit, auffälliger Tiefe und strahlender Klarheit. Man wird den Eindruck nicht los, man unterhalte sich mit einem warmen, selbstehrlichen Mann, den man zwangsläufig schon länger kennen müsse. Und so geht es während des zeitlich hoffnungslos überzogenen Gesprächs nicht nur um Mittermeiers neues Buch und seine kommenden Auftritte in der Region: Von den Leiden des Ukraine-Kriegs erzählt der 55-Jährige nicht weniger als von seinem mühsamen Weg als humoristischer Pionier und der Dankbarkeit, heute einen Einfluss zu genießen, den er für das Gute einsetzen kann.Lieber Herr Mittermeier, mit Ihrem neuen Buch „Nur noch eine Folge – Von A bis Zapped“ gehen Sie auch biografisch zurück an den Anfang Ihrer Karriere, um das deutsche Fernsehen auf’s Korn zu nehmen. Für welche Sendung wären Sie denn als kleiner Bub gerne wach geblieben?Michael Mittermeier: Ich erinnere mich da immer gerne an den Augenblick, in dem die „Miss Marple“-Filme im Fernsehen liefen, die ich eigentlich gar nicht hätte sehen dürfen, meine Mutter dann irgendwann einschläft und ich voller Begeisterung dasitze – und das alles in mir aufsauge.

Gab es denn diesen einen entzündenden Moment, der die Faszination für das Fernsehen mit sich brachte?

Mittermeier: Du begreifst als junger Mensch nur ganz allmählich, was dieses Medium für eine Kraft hat, wie sehr es die Menschen, die es konsumieren, beeinflussen kann – und wie absurd manche Sendungen und Formate auch sein können. Diese Möglichkeiten haben mich schon früh begeistert.

Wenn man dieser Tage seinen Fernseher einschaltet, kreisen die Bilder ja vor allem um den Ukraine-Krieg und die verübten Gräueltaten, die man vermutlich lieber gar nicht sehen würde. Wie geht es Ihnen, wenn Sie das verfolgen?

Mittermeier: Ich bin da etwas anderer Meinung. Ganz klar zeigen diese Bilder, wie brutal und menschenverachtend ein Diktator hier versucht, sich ein Land einzuverleiben – und welche schrecklichen Dinge er dafür bereit ist, zu unternehmen. Ich glaube aber daran, dass die Menschheit genau diese Bilder braucht, um begreifen zu können, dass Krieg in Europa im Jahr 2022 überhaupt Realität sein kann. Gerade bei all der Desinformation und den Lügen, die Putin verbreitet, sind es diese unabhängigen, neutralen, aber leider auch schrecklichen Aufnahmen, die uns verstehen lassen, was hier Abartiges passiert.

Sie sprechen von Lügengeschichten aus dem Kreml – und meinen damit vermutlich die Mär, es sei im Donbass zu einem Genozid von der Ukraine an Zivilisten in den selbsternannten Volksrepubliken gekommen?

Mittermeier: Um das zu verstehen, muss man sich die Figur Wladimir Putin genau anschauen. Zumindest ich sehe da einen Despoten, der eigentlich in großer Angst vor der Welt lebt – und deswegen den Kontakt zu ihr längst abgebrochen hat. Wenn man dem glauben darf, was immer wieder berichtet wird, sitzt Putin seit Jahren schwer bewacht in irgendwelchen Sicherheitsbunkern und Privatresidenzen, setzt sich – aus Angst, an Corona zu erkranken – selbst bei Besuchen von Staatsoberhäuptern an gigantische Tische mit 30 Metern Entfernung und plant genau nach diesen Vorgaben auch seine Politik: Wenn Dir der Westen so gefährlich erscheint, dann mache ihn Dir Untertan. Dafür sind diesem Verrückten offensichtlich alle Mittel recht.

Sie stehen mit Ihrem sozialen Engagement seit Jahren für Völkerverständigung, sind aber auch für Ihre klare Kante bekannt: Hat Europa, hat aber auch die EU Putin und seine Bestrebungen einfach unterschätzt?

Mittermeier: Wenn man sich anschaut, wie sehr und wie deutlich Russland in den vergangenen Jahren – vor allem, nachdem sie die Krim überrannt haben – rhetorisch aufgerüstet hat, muss man sagen: leider ja. Trotzdem kann man nicht behaupten, dass dieser Krieg genau jetzt zu erwarten war. Niemand wollte daran glauben, dass das wirklich geschieht. Aber umso entschlossener muss die Haltung gegen diesen Diktator nun sein – und da schließe ich sämtliche Personen des öffentlichen Lebens mit ein. Neutralität kannst Du Dir in Kriegszeiten nicht erlauben.

Herr Mittermeier, Unterhaltung kommt ja auch von Haltung. Dass Sie sich die erlauben können, mussten Sie sich hart erarbeiten. Wann war Ihnen klar, dass Sie eine Person des öffentlichen Lebens werden würden, um dann anschließend – auch mit der entsprechenden Verantwortung – auf die Bühnen des Landes zu treten?

Mittermeier: Die Frage ist interessant, weil ich sie mir so nie gestellt habe. Ich dachte ja nicht: Jetzt werde ich mal eine öffentliche Person. Das ergab sich mit der Zeit – und durchaus nicht immer geradlinig. Zwischen meinen Kollegen und mir gab es, speziell in den 90er Jahren, die Regel: Wenn eine Person mehr im Publikum sitzt, als auf der Bühne steht, dann spielst Du. Diese Regel habe ich nur ein einziges Mal bei einem Gastspiel in München gebrochen, weil ein Kritiker von der Abendzeitung gekommen war und ich die Hoffnung hatte, dass der uns für die kommenden Tage etwas mehr Zuschauer bescheren könnte – was übrigens auch geklappt hat. Aber um zurückzukommen: Mir war vorher schon klar, dass ich Künstler sein will, aber dieser Moment, als ich 1987 plötzlich neben Bono in der Olympiahalle stehe und Gitarre spielen darf, hat mir klar gemacht, dass es für mich dazu gar keine sinnvolle Alternative gibt.

Tacheles, Herr Mittermeier: Instagram, Influencer und andere Werkzeuge des digitalen Marketings, die heute vielen zum Erfolg verhelfen, waren zum Anfang Ihrer Karriere noch meilenweit entfernt. Was hat Ihnen die Entschlossenheit geschenkt, durchzuhalten und nicht irgendwann einfach zu sagen: Das ist mir zu viel, ich höre auf?

Mittermeier: Ich erinnere gerne daran, dass ich meine ersten Auftritte auf Schützenfesten und wenig später in Clubs hatte, die für vieles bekannt waren, aber nicht für Comedy. Es gab in den späten 80er und frühen 90er Jahren keine Stand-up-Comedy und schon gar keine Foren dafür. Ich spielte meistens vor den Leuten, die an dem Abend zufällig gerade da waren und hatte die Aufgabe, sie zu unterhalten. Eine Garantie, dass das funktioniert, hast Du nie. Wenn Du aber merkst, dass das Publikum Dich lustig findet, beim ersten Auftritt in der Stadt 20 Leute da sind, beim zweiten 30 und beim dritten 50, kannst Du so viel nicht falsch gemacht haben. Und so habe ich dann halt immer weitergemacht und denke auch nicht daran aufzuhören. Die Digitalisierung hat darauf keinen Einfluss.

„Die Menschheit braucht genau diese Bilder“, so Comedian Michael Mittermeier im MM-Interview-2
Frech, kantig – und mit dem Mut zur Lücke: Eines der ersten Tourplakate, mit denen Mittermeier zu allererst in Bayern für Furore sorgte. BILD: PRIVAT

Gab es denn nie einen ernsthaften Zweifel daran, dass Sie es auf diese Weise nach ganz oben schaffen würden?

Mittermeier: Das ist es ja: Ich wollte eigentlich nie ganz nach oben. Ich wollte von meiner Kunst leben können, und das nach Möglichkeit ordentlich – aber die Vorstellung, in Messehallen oder Arenen aufzutreten, war für mich jahrelang undenkbar. Ich will Dir mal eine kurze Anekdote erzählen: Ich habe im Fernsehen eigentlich fast nur gute Erfahrungen gemacht. Aber in den 90er Jahren bin ich einmal von einer Produktionsfirma krass verarscht worden. Wir hatten gerade mit den Aufnahmen begonnen, das Projekt sollte mich in den nächsten Monaten beschäftigen – und auf einmal sitze ich da, der Auftrag ist weg und ich muss mich fragen, was ich jetzt eigentlich machen soll. Ich habe dann tatsächlich ein paar Tage gebraucht, um wieder zu mir zu kommen, aber dann saß ich eines Abends in meiner Küche und sagte mir: Du musst jetzt das beste Comedy-Programm schreiben, das Deutschland jemals gesehen hat. Also bat ich meine Freundin, mich allein zu lassen und schrieb drauf los. Das Ergebnis war „Zapped“. Ich nahm die bekanntesten Werbespots zu dieser Zeit, schrieb eigene Parodien und wusste, dass das außer mir noch niemand gemacht hatte. War das riskant? Ja selbstverständlich. Aber dass ich jetzt 25 Jahre später darauf zurückblicken und sehen darf, wo mich dieses Risiko hingeführt hat, ist einfach großartig.

Der Ruhm, der daraus entstanden ist, hat Sie ja nicht nur in Deutschland bekannt gemacht, sondern auch nach Großbritannien, Amerika und Afrika getragen. Selbst musikalisch haben Sie mit dem Rat Pack neue Facetten eröffnet. Wird es solche Shows nach der Distanzierung von Xavier Naidoo noch einmal zu erleben geben?

Mittermeier: Sasha, Rea Garvey und ich haben ja 2019 noch einmal einen neuen Anlauf genommen und hatten unter anderem für 2021 mit unserer Weihnachtsshow eine sechswöchige Tour geplant, die dann wegen Corona ins Wasser gefallen ist. Um auch das Thema mal anzusprechen: Mir wird seit letztem Herbst immer wieder gesagt, was denn los wäre, wir dürften doch wieder auftreten. Fakt ist, dass wir in 16 Bundesländern 16 verschiedene Verordnungen haben und ich in den letzten neun Monaten alles, was ich geplant hatte, komplett verschieben musste. Weil ich das Glück habe, mittlerweile einen Namen zu haben, konnte ich im letzten Sommer zumindest die Open-Air-Tour spielen, aber danach sollte es dann ja auch weitergehen. Deswegen kam mir auch die Idee mit dem Buch und dem 25 Jahre-Special, welches auch heute noch besteht, und kein bisschen Staub angesetzt hat.

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Michael Mittermeier, ganz brav – dieses Foto zeigt den jungen Michael im Schüleralter. BILD: PRIVAT
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Musikalisch geprägt und dennoch in seiner Comedy auch immer nachdenklich-tiefsinnig: Michael Mittermeier. BILD: PRIVAT

Wie bekommt man eine solche Melange hin, ohne dabei sentimental zu werden?

Mittermeier: Natürlich brauchst Du Deine Klassiker wie die AOK oder MacGyver, die einfach zeitlos gut sind, aber wie im Buch kommt es dann drauf an, dass Du dann einfach ein Battle zwischen Schwarzwaldkönig und Game of Thrones aufbaust, der Bachelor mit Lassie auf Augenhöhe kämpft und die Familie Feuerstein ins Dschungelcamp einmarschiert. Ich war ehrlich gesagt begeistert davon, wie gut das bisher funktioniert hat. Denn ich hatte open air unglaublich viele junge Zuschauer, die „Zapped“ nie gesehen haben, aber auch ältere Fans, die „Game of Thrones“ nicht kennen. Dass diese Gruppen sich beide über alles kaputtlachen konnten, war mein Gewinn – und auf den bin ich mächtig stolz.

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Kann nicht nur mit Worten scharf schießen: Michael Mittermeier ganz fesch im Cowboy-Kostüm. BILD: PRIVAT
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Gemeinsam mit Bono von U2 (r.) erlebte Michael Mittermeier den Moment, der seine Zukunft auf der Bühne besiegelte. BILD: PRIVAT

Es gibt heute viele Karrieren, die steil nach oben gehen, aber ebenso steil wieder bergab: Haben Sie damals geahnt, welche Halbwertszeit Programme wie „Zapped“ haben könnten?

Mittermeier: Klar war mir das natürlich nicht. Das Einzige, was ich gespürt habe, ist, dass ich da gerade etwas für mich Besonderes mache. Wenn ich heute noch auf OpenMic-Nights gehe und von 20-jährigen Nachwuchskünstlern höre, dass ich ihr Held bin, berührt mich das unglaublich. Man darf nicht vergessen: Das ist die übernächste Generation. Die haben die CD von „Zapped“ oder „Back To Life“ von ihren Eltern bekommen, die sie selbst bekommen haben, als sie noch Kinder waren. Das sind Dinge, die einen unglaublich stolz machen – auch, wenn Du spürst, dass das seine Kreise zieht und nicht nur in großen Städten wie Berlin oder München, sondern auch in Augsburg oder Mannheim junge Menschen nachkommen, die ich mit meinem Humor noch irgendwie geprägt habe. Mehr kannst Du Dir eigentlich kaum wünschen.

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Mit „Von A bis Zapped“ veröffentlicht Michael Mittermeier sein aktuelles Stück Fernsehsatire auch literarisch. BILD: KIEPENHEUER & WITSCH

Ich weiß, die vereinbarte Zeit ist längst abgelaufen, ich komme auch zum Schluss: Gibt es einen Punkt, den Sie sich für sich selbst festgelegt haben, an dem man sich hoch erhobenen Hauptes von der Bühne verabschieden würde, um sich privat noch einmal auf etwas ganz Anderes einzulassen?

Mittermeier: Freiwillig würde ich mich wohl nie von der Bühne verabschieden, aber nicht zuletzt Corona hat uns ja gezeigt, dass Du im Zweifel als Kulturschaffender einfach wahnsinnig flexibel sein musst. Ich habe allein in der Zeit der Pandemie zwei Bücher geschrieben, mein Jubiläumsprogramm auf die Beine gestellt, den Podcast „Synapsen Mikado“ mit meiner Frau und meiner Tochter gestartet und eine Video-Rubrik ins Leben gerufen. Klar ist: Wir fahren alle nur auf Sicht – und wissen jetzt noch nicht, ob der Herbst überhaupt so stattfinden kann, wie wir ihn geplant haben. Stattdessen dürfen wir dann vielleicht wieder ordentlich spazieren gehen (lacht). Als Jugendliche hätten wir damals abgekotzt. Bei uns hieß es: Spazieren ist wie sterben, nur langsamer. Aber ganz ehrlich: So lange ich auf die Bühne rauskomme und die Leute mich lustig finden, sehe ich keinen Grund aufzuhören – außerdem habe ich mit Euch noch einiges vor, lasst Euch nur überraschen! Markus Mertens