Wer „Inas Nacht“ kennt, weiß, wie feinfühlig sich Ina Müller in die Tiefen von Menschen hineinbegeben kann. Dass die Moderatorin, Sängerin und Kabarettistin Ina Müller auf der anderen Seite des Interviewtisches aber auch eine erstaunlich offene, tief reflektierte und charmante Dame ist, lässt sie ihren Gesprächspartner erst spüren, wenn die professionelle Routine einer vertrauten Atmosphäre weicht, die wesentlich weiter reicht, als sich das Alphabet der eigenen Markenbildung ausbuchstabieren lässt. Ein Gespräch über die Macht der Weiblichkeit, die Sinnlichkeit des Rauchens und die Poesie der Kultur.Frau Müller, wenn ich einen Blick auf Ihre Karriere werfe, weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll…Ina Müller: Das weiß ich manchmal auch nicht! (lacht)

Na, da haben wir doch schon einmal einen guten Anfang gefunden, nicht wahr? Aber ernsthaft: Sie waren und sind im Verlauf der Jahre ja so vieles gewesen – als was sieht man sich denn am ehesten?

Müller: Ich sehe mich meistens als Ina Müller. Und die hat gemeinsam mit Edda Schnittgard und Queen Bee natürlich erst einmal mit Musikkabarett auf sich aufmerksam gemacht. Aber das war auch erfüllend. Weil es so ehrlich, so frei und unverschämt war. Das hat mir große Freude bereitet – und hat später dann ja auch größere Anerkennung beim Publikum gefunden.

Nimmt man daher dann den Mut, als Frau in der Kunst- und Medienbranche so selbstbewusst voranzugehen, wie Sie das getan haben?

Müller: Den Wunsch, mich auszudrücken, hatte ich schon früh. Als Frau musst du dir deinen Raum schon schaffen, das ist heute noch so – ich hatte das Glück, immer das Gefühl zu haben, dass ich auch etwas zu sagen habe. Und dann gab es in meinem Leben eben immer wieder wichtige Partner, die mir auch zugehört haben.

Das müssen Sie mir erklären…

„Ich habe unendlich viel Lust auf das Leben“, so Ina Müller im MM-Interview-2
Ina Müller liebt die Bühne. Wer sich davon in Mannheim überzeugen möchte, kann das am 29. Oktober machen. Dann tritt sie in der SAP Arena auf. BILD: SANDRA LUDEWIG/SONY MUSIC

Müller: Zum Beispiel bei „Inas Nacht“. Durch meine Sendungen für den NDR hatte ich einen guten Kontakt zum NDR Redaktionsteam. Wir haben uns immer wieder zusammengesetzt, um über neue Formate nachzudenken. Als dann die Idee zu Inas Nacht entstand, brauchte ich allerdings doch die Hilfe des Intendanten, denn keiner glaubte so recht an die Idee, und bezahlen wollte auch keiner. Das Geld für die ersten drei Sendungen kam dann aus der Intendantenkasse, und das „Go“ für die Show dazu. Ich musste also schon ein bisschen kämpfen, bis alles so war und sein durfte, wie ich es wollte.

Dafür können Sie sich heute auf die Fahne schreiben, nicht nur den Hamburger „Schellfischposten“, sondern auch eine ganz besondere Form der Late-Night kultiviert zu haben, die untrennbar mit Ihrem Namen verbunden ist.

Müller: Ja, aber ich hatte ja keinerlei Garantie dafür, dass der kleine Raum einer Kneipe mit Shanty-Musik die Menschen wirklich anziehen würde. 15 Jahre und einige Auszeichnungen später bin ich natürlich klüger. Dass ich heute hier stehe und wir mehr als 16 Staffeln erfolgreich drehen konnten, glaube ich manchmal selbst kaum.

Aber das ist bei Weitem ja nicht alles, für das Sie heute bekannt sind. Sie haben unter anderem Bücher und Lieder auf Plattdeutsch geschrieben, waren als Schauspielerin aktiv und sind seit Ihrem Debüt 2004 auch als Sängerin aktiv. Braucht die Person Ina Müller diese Breite in ihrem Leben?

Müller: Ich möchte das mal so ausdrücken: Ich bin froh, dass ich die Kraft hatte, die Möglichkeiten, die sich in meinem Leben ergeben haben, anzunehmen. Um jetzt nur mal die Musik herauszugreifen: Es war tatsächlich so, dass ich eines Tages einen Anruf von Sony bekam, ob ich Lust hätte, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich konnte das damals kaum begreifen, wie ein so großes Label tatsächlich dieses Experiment mit mir eingehen wollte. Aber genau das sind die Schritte, die dich frei machen, wenn du die Entschlossenheit aufbringst, sie zu gehen. Ich habe mich von dieser Vielfalt nie belastet gefühlt. Dafür war ich schon immer viel zu neugierig (lacht).

Was sowohl Ihre Fans als auch die Kritik an Ihren Songs begeistert, ist diese Leichtigkeit, mit der Sie weibliche Wahrheiten aussprechen. Sicherlich gibt es da auch Nachdenklichkeit, aber der Tenor kommt doch meist mit einem Augenzwinkern daher. Ist dieses Understatement einfach Programm bei Ihnen?

Müller: Das begann eigentlich mit „Weiblich, Ledig, 40“, was ja schon vom Titel her ein sehr offenes Album war. Ich habe mich relativ früh dazu entschieden, sehr persönliche Musik zu machen und dazu gehört auch, meine Art des Denkens in die Musik zu integrieren. Da ich mich nicht als Mensch verstehe, der deprimiert auf Herausforderungen oder Krisen blickt, wollte ich auch meiner Musik diese Hoffnung geben, dass alles besser wird – oder wenigstens werden kann. Und ich hab natürlich gehofft, dass es viele Frauen in meinem Alter geben wird, die diese Musik hören möchten – und mit mir hoffen wollen.

Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie dem Weltstar Adele mit der Idee, Alben nach dem derzeitigen Alter zu taufen, zuvorgekommen sind?

Müller: (lacht) Das ehrt mich sehr, dass Sie das so betrachten, aber tatsächlich ist „48“ und „55“ meine Antwort auf Adels Alben „19“ und „21“. Ich fand es irgendwie lustig, so viel älter zu sein als sie, und trotzdem diese Zahlen schön groß auf mein Album zu drucken.

Dann kommen wir doch gleich einmal zur Sache: In „Rauchen“ aus Ihrem jüngsten Album „55“ kommt die Romantik des Rauchs voll zur Geltung. Ist die Ina Müller heute denn noch leidenschaftlicher geworden?

Müller: Ich würde in jedem Fall behaupten, sie genießt mehr – und vor allem bewusster. Ich weiß nicht, ob Sie rauchen, aber es gab früher auch Zeiten, in denen ich zu viel und zu oft geraucht habe. Heute ist es diese eine Zigarette im Dunkel der Nacht, die ich auskosten kann. Haben Sie eine Idee, wie sinnlich das sein kann, wenn der Rauch in den schwarzen Himmel zieht und sich alles ganz leicht anfühlt? Das ist herrlich. Es kam für mich nie in Frage, morgens aufzustehen und erstmal eine zu rauchen, aber dieser Genuss, von dem ich sprach, ist für mich unbezahlbar.

Auch Ihre Fans sollen ja jetzt nach mehreren Verschiebungen der Tournee endlich wieder in den Genuss kommen, Sie live erleben zu dürfen – am 29. Oktober machen Sie unter anderem in der SAP Arena in Mannheim Station. Wie sind die Emotionen?

Müller: Ganz ehrlich? Diese Corona-Zeit hat mich sehr geprägt. Mehr, als ich es jemals erwartet hätte. Denn auf der einen Seite merkst du, wie vom Bühnenbauer bis zur Security das ganze Team, das dir jeden Tag den Wahnsinn dieser Tournee ermöglicht, eigentlich keine Arbeit mehr hat und du Krisensitzungen abhalten musst, wie diese verdienten Crew-Mitarbeiter überleben können. Auf der anderen Seite hattest du ja auch überhaupt keine Planungssicherheit, wann du endlich wieder spielen kannst, welche Maßnahmen gelten, wie viele Zuschauer kommen dürfen und ob sich das nicht alles noch einmal ändert, bis das Konzert dann tatsächlich stattfindet. Das ist eine große Verantwortung und wenn du in Arenen spielst, eine noch größere. Wir sind alle wahnsinnig froh, dass es jetzt endlich weitergehen darf und wir auch endlich wieder nach Mannheim kommen dürfen!

Klingt fast wie ein Plädoyer auf den Wert der Kultur und ihrer Ermöglicher…

Müller: Genau so können Sie es auch gerne verstehen. Die Menschen brauchen Kultur und die Corona-Pandemie hat sie vielen für eine unglaublich lange Zeit weggenommen und gleichzeitig all jene in Not gebracht, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Wann, wenn nicht in diesen zwei Jahren haben wir gemerkt, was wirklich fehlt, wenn wir nicht mehr selbst entscheiden können, auf welches Konzert wir gehen, weil einfach nichts stattfinden darf? Nein, das Publikum braucht seine Künstler und umgekehrt. Und genau deshalb bin ich der Meinung, dass das jetzt auch für die Liebhaber der Kultur ein Startschuss sein muss, wieder zu kommen und damit zu beweisen, dass wir eine Berechtigung haben, auf der Bühne zu stehen – um nämlich gemeinsam eine gute Zeit zu haben, die kein Livestream der Welt jemals so möglich machen kann.

Ich unterstelle jetzt einfach einmal, dass sich eine aufmerksame Künstlerin wie Sie auch dafür interessiert, wer seit 2004 eigentlich ihre Musik hört…

Müller: Ja, und ich bin immer wieder fasziniert davon, festzustellen, wie viele Fans mir die Treue halten und mir schreiben, wie sie sich durch meine Musik bestärkt fühlen. Und wie viele Menschen meine Musik noch immer neu entdecken. Das ist eigentlich meine größte Auszeichnung.

Frau Müller, ich will jetzt mal ganz nonchalant sein: Sie sind 57 Jahre alt, haben mit Ihren Alben mehrfach Gold und Platin gewonnen und haben ja auch noch ein Privatleben: Gibt es für Sie eine Grenze, ab der Sie sagen würden: Jetzt muss oder möchte ich auch gar nicht mehr öffentlich sein?

Müller: Ich habe das sogar ganz konkret für mich definiert: Wenn ich es nicht mehr schaffe, höre ich auf. Ich würde niemals mehr ein Konzert spielen, wenn ich das Gefühl hätte, dass ich mich irgendwie auf die Bühne schleppen muss. Aber auch, wenn ich schon über 50 bin, fühle ich mich gut. Viele Dinge sehe ich sogar viel klarer und ziehe ganz andere Energien daraus, als das noch vor 20 Jahren der Fall war. Und deswegen kann ich Ihnen sagen: Ich habe noch unendlich viel Lust auf’s Leben und all die Ereignisse, die es für mich bereithält! Markus Mertens