Dieses Interview mit Alexander Herrmann ist streng genommen eigentlich keines. Denn was mit klassischen Fragen und Antworten beginnt, auch seine Show am 8. November im Mannheimer Capitol streift und grundlegende Stationen seiner Karriere thematisiert, wird sehr bald schon zu einem angeregten Dialog. Es entspinnt sich ein Gespräch mit dem Sternekoch über die Freiheit der eigenen Ernährung, die Macht der Bodenständigkeit und warum Kontrollverlust bisweilen auch sehr heilsam sein kann.

Lieber Herr Herrmann, Sie sind jetzt seit mehr als zwei Jahrzehnten Koch und sind ja auch in ein Umfeld hineingeboren, das von der Gastronomie geprägt war. Auf Bildern sieht man Sie als kleinen Buben, adrett mit Jacke gekleidet, für die Gäste servieren. Wann waren Sie zum ersten Mal stolz? 

Alexander Herrmann:
Die Frage ist deswegen spannend, weil es in der Generation vor meiner noch vorausgesetzt wurde, dass die eigenen Kinder den Betrieb der Eltern übernehmen. Da wurde nicht großartig nachgefragt - das wurde verlangt. Das war bei mir anders. Ich hatte die Freiheiten, mich für das zu entscheiden, was mir liegt. Gleichzeitig durfte ich die Welt des Hotels, das unser Zuhause war, kennenlernen und fasziniert begreifen, was dort alles geschieht. Wenn du dann zum ersten Mal während der Bayreuther Festspiele arbeitest und nach den Festspielen mit 500 Mark Trinkgeld nach Hause kommst, das ist unvorstellbar. Das war damals ein Vermögen! Und darauf war ich stolz, keine Frage.

Ein Stolz, der Sie zum heute erfolgreichen Koch hat werden lassen. Wo würden Sie heute denn stehen, hätte die feine Kost Sie nicht fasziniert? 

Herrmann:
Es gab einmal eine Zeit, da wollte ich unglaublich gerne Medizin studieren. Aber die Grammatik hatte mich nicht so gerne, wie ich mir das gewünscht hätte. Wer sich all die Grammatikregeln ausgedacht hat, wollte die Menschen doch bestrafen (lacht). Und ich wäre gerne mal Rennfahrer geworden. Das hat mich schon immer begeistert die Geschwindigkeit, die Ausdauer, die Präzision...

Rennsport und Kochen haben so gesehen doch durchaus einiges gemeinsam, finden Sie nicht? 

Herrmann:
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr sehe ich tatsächlich Parallelen. Wobei ich gerade beim Kochen der Meinung bin, dass nicht der größte Motor die beste Leistung erbringt. Das Auto muss als Gesamtpaket inspirieren. Wenn Ihnen das Interieur eines Fahrzeugs gefällt, der Sound stimmt, die Farbe der Sitze zum Lack passt und es sich dann auch noch angenehm fahren lässt, ist es ein Modell, das jeder haben will - weil Stil und Geschmack zusammenkommen. Genau so muss auch ein gutes Gericht sein.

Wobei ich gehört habe, dass bei Ihnen und all Ihren Verpflichtungen auch mal ganz schnell etwas auf den Tisch kommen muss. Wie entscheidet man sich da für das Beste? 

Herrmann:
Bei ,,The Taste“ zum Beispiel ist mein Kollege Tim Raue für die Verpflegung von uns Juroren zuständig. Da gibt es dann zwischendurch auch mal einen Burger oder ein Leberkäs-Brötchen, die aus der Hand gegessen werden. Ich habe dabei auch kein schlechtes Gewissen - zum einen, weil es qualitativ sehr ansprechende Leberkäs-Brötchen und Burger gibt, zum anderen, weil die Dosis das Gift macht. Nur für jeden Tag wäre das in der Tat nichts.

Wenn man es in einer Disziplin so weit gebracht hat, wie Sie, ist man Vorbild und trägt auch Verantwortung für all diejenigen, denen man ein gesundes Leben durch gute Ernährung näherbringen will. Wie gehen Sie damit um? 

Herrmann:
Erst einmal, indem ich immer wieder mit großer Demut betrachte, was sich in diesen Jahren eigentlich alles entwickelt hat. Gerade das Thema Fernsehen hat da wahnsinnig viel geändert, und uns auch alle überrascht. Denn selbst unter dem Spitzenköchen hat kaum einer von uns geglaubt, dass es dafür ein Publikum geben würde. Heute sind diese Sendungen nicht mehr aus dem Programm wegzudenken - und das ist ein Geschenk. Dass ich diese Reichweite erzielen kann. Gleichzeitig merke ich natürlich, dass ich gefühlt zwölf Dinge parallel bin. Ich bin Koch, Autor, Moderator, Juror, Gastronom, Bühnenkünstler. Das sind Aufgaben, die ich mit großem Ernst erfüllen will.

Zumal Sie mit Ihrer Tatkraft ja vermutlich auch Impulse setzen wollen, oder? 

Herrmann:
Das kommt natürlich hinzu. Du merkst natürlich, dass du nie alle erreichen wirst, und dass du selbst bei denen, die du erreichst, nie alles ändern wirst. Das ist aber auch gar nicht mein Anspruch. Wenn es mir gelingt, dass jemand in 80 Prozent der Zeit die Hinweise umsetzen kann, die ich ihm gerne mitgeben möchte, ist das ein großartiger Erfolg. Ich erinnere mich an die frühe Zeit des ,,Kochduells", da hat mich die Familie einer magersüchtigen jungen Frau kontaktiert und mich wissen lassen, dass meine Rezepte ihr wieder zu einer normalen Ernährung verholfen haben. Das sind Geschichten, die dich enorm bestärken und die du dein Leben lang nicht vergisst.

War das auch die Triebfeder, mit der Idee aber auch der eigenen Kompositionen, ganz viel Humor bewusst auf Tournee gehen zu wollen? 

Herrmann:
Auf diese Frage gibt es zwei Antworten. Die eine ist: Natürlich bin ich geprägt von einer großen Dankbarkeit, dass ich solche Dinge überhaupt live zeigen darf und es Menschen gibt, die das sehen wollen. Auch in Mannheim, einer Stadt, mit der mich allein durch die Auftritte im Capitol schon sehr vieles verbindet. An solchen Orten auf der Bühne stehen und meine Überzeugungen teilen zu dürfen, war für mich zu keinem Zeitpunkt selbstverständlich - weil es ein Geschenk ist. Dass die Menschen sich interessieren, auch einen ganz anderen Blick auf unsere Branche bekommen und verstehen, was alles hinter einem guten Essen, ob Zuhause oder im Restaurant, steckt. Die andere ist: Ich will die Augen der Menschen zum Leuchten bringen, indem ich ihnen zeige, dass Kochen Spaß macht. Als wir noch jünger waren, sind wir immer zu den Omas unsere Kumpels gegangen, die schon irgendetwas Leckeres zu essen vorbereitet hatten. Es hat dort immer am besten geschmeckt, weil es mit Leidenschaft und aus ganzem Herzen gemacht war. Du hast die Speisen automatisch mit Emotionen verbunden. Und genau dieses Gefühl will ich den Menschen als direktes, unmittelbares Erlebnis vermitteln. Denn ich garantiere: Es macht glücklich!

Ganz ehrlich, Herr Herrmann: Wenn Sie - und sei es das 1001. Mal-am Herd stehen, um die gleiche Speise zu präsentieren, sieht das immer noch passioniert aus. Woher nehmen Sie die Leichtigkeit? 

Herrmann:
Was ich betreibe, ist ein Handwerk, das Sie nur mit Herz und Seele betreiben können. Wenn Sie das nicht lieben, können Sie es auf Dauer auch gar nicht machen. Denn Kochen ist schwer beweisbar. Weil nicht immer alles gleich ist - und auch nicht identisch sein kann. Erstens, weil immer auch Einflüsse wie die Qualität meiner Produkte, die Präsentation beim Anrichten und die Zeit eine Rolle spielen - und zweitens, weil es hochgradig vom Geschmack meines Gastes abhängt, ob ihm meine Kompositionen schmecken werden. Was ich aber beeinflussen kann, ist, wie ich zu diesem Gericht stehe, dem ich meine Aufmerksamkeit schulde. Kochen ist für mich, die Seele auf den Teller zu bringen. Und dass ich das kann, muss ich jedes Mal von Neuem beweisen.

Und wie gelingt es einem, bei all Ihren Erfolgen und Auszeichnungen, nicht irgendwann völlig abgehoben zu werden? 

Herrmann:
Indem man sich immer wieder den Fokus setzt und Entscheidungen nicht aus der eigenen Großartigkeit heraus trifft, sondern, weil man sich etwas dabei gedacht hat. Gibt es Eitelkeiten und Narzissmus in unserer Branche? Mehr als genug davon. Ich hatte schon professionelle Food-Kritiker bei mir im Fränk'ness, die mich hervorragend bewertet haben, dann aber damit prahlen mussten, wie hervorragend sie sich in der Szene auskennen, indem sie mich mit Weltklasserestaurants aus anderen Ländern verglichen haben, die kulinarisch etwas völlig anderes machen, als ich. Da wäre es mir offen gestanden lieber, ehrlich bewertet zu werden.

Das ist ohne Zweifel eine erstaunliche Einstellung, die für mich aber auch viel mit dem Gedanken von Konstanz und Bodenständigkeit zu tun hat. Wie ist es Ihnen gelungen, sich in all der Zeit geschmacklich nie auszuerzählen und immer wieder Neues zu sagen zu haben? 

Herrmann:
Für mich ist das ein Lebensprinzip: Man kommt ständig an - und bleibt auf Reisen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Als mein Küchenchef Tobias Bätz und ich 2008 den ersten Stern mit unserem Restaurant geholt haben, wollten wir ein paar Dinge verändern, um zu sehen, wie wir noch besser werden können. Also machten wir gemeinsam einige Reservierungen in anderen Zwei-Sterne-Häusern, um den Vergleich zu ziehen. Nach der zweiten Reservierung habe ich die anderen alle gestrichen und zu ihm gesagt: „Das wird uns nichts bringen, wir müssen unser eigenes Ding machen.“ Und genau das ist uns gelungen. Wir haben konsequent angefangen, regionale Produkte zu verwenden und hatten Glück, dass ein Tropenhaus in Franken Südfrüchte anpflanzt, die über die Abwärme eines Glasereibetriebs versorgt werden. Dort werden auch Bananenstauden mit den Ausscheidungen von Piranhas gedüngt, die im Tropenhaus vor Ort leben, deshalb haben wir regionale Südfrüchte - so ist unser Hashtag und Label #grenzenloseheimat entstanden. Um von Jahreszeiten unabhängig zu sein, fermentieren wir unsere regionalen Produkte und schaffen so unsere eigenen Zutaten. Am Anfang hat jeder gesagt: Ihr spinnt! Mittlerweile haben wir bewiesen, dass das funktioniert, seit drei Jahren auch mit dem zweiten Stern.

Sie sind jetzt über 50 Jahre alt, haben unglaublich viel an Erfahrung gesammelt, aber wahrscheinlich ja auch noch einige Ziele im Blick. Wie anders schauen Sie auf die kommenden Herausforderungen, als zu Beginn Ihrer Karriere? 

Herrmann:
Das ist eine Frage, die vor allem nach Corona sehr interessant ist, weil sich in der Zeit Prozesse von sechs Jahren auf zwei komprimiert haben - und wir uns natürlich nach einer Balance sehnen, die das wieder ausgleicht. Aber auch fernab davon, war mein 50. Geburtstag durchaus eine Zäsur. Weil du dir natürlich klar wirst, dass, was immer du jetzt anfängst, in 15 Jahren im besten Fall abbezahlt sein sollte. Da denkt man in jedem Fall genauer nach, ist aber auch weitsichtiger geworden. Früher wollte ich vieles perfekt machen, heute weiß ich, dass Perfektion eine Momentaufnahme ist, du den Fehler als Teil des Erfolgs begreifen musst. Ich muss, ich kann und ich will zum Beispiel gar nicht mehr alles kontrollieren - weil ich Menschen um mich und hinter mir habe, denen ich vertraue. Ich nenne das gerne Mut zum Kontrollverlust. Indem ich auf die Stärke von Menschen setze, die dieses Vertrauen verdienen. Markus Mertens