Das Rentenalter ist erreicht, an ein Rentnerleben ist für ihn aber nicht zu denken, selbst wenn er in seiner Heimat Kanada häufig in den Wäldern und beim Angeln anzutreffen ist, er ein Haus am See mit großer Veranda und viel Natur drumherum besitzt: „Ich habe über die letzten Jahre trotzdem viel Zeit mit Eishockey verbracht. Das Scouten für die Adler nimmt einen ordentlich in Anspruch. Dazu der Posten des Interimstrainers. Aber Eishockey ist mein Leben, Eishockey macht mich glücklich, hält mich jung, lebendig“, ist für Bill Stewart allein der Gedanke an einen endgültigen Abschied aus der Eishockeywelt undenkbar.Dem Mann aus Toronto, der heute in Bobcaygeon, einem 2.000-Einwohner-Dorf mitten im Nirgendwo mit kalten Wintern lebt, ist Eishockey in die Wiege gelegt. Mit 19 Jahren wurde er von Buffalo in der vierten Runde gedraftet, es folgten über 270 NHL-Partien für die Sabres, St. Louis, Toronto und Minnesota. Stewart gewann zwei italienische Meisterschaften, nahm für Italien an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen teil. Der ehemalige Verteidiger wurde nach seiner aktiven Karriere Trainer in Oshawa, Saint John, Lausanne, Graz, Linz, Hamburg, Köln, Dresden, Straubing, Heilbronn, Barrie und bei den New York Islanders. OHL, AHL, NHL, DEL, DEL2, NLA und EBEL – die Liste der Ligen, in denen der heute 64-Jährige gewirkt hat, ist lang.

Das Plädoyer: Cheftrainer Bill Stewart lebt für Eishockey und die Mannheimer Adler -2
Das Plädoyer: Cheftrainer Bill Stewart lebt für Eishockey und die Mannheimer Adler -3

„Mit Eishockey zu leben, ist das einzige Leben, das ich kenne. Ich habe 20 Jahre gespielt, habe noch länger als Trainer und Scout gearbeitet. Ich liebe dieses Leben. Bei Spielen zuzusehen, hinter der Bande zu stehen, in der Kabine zu sein – wenn du Eishockey liebst, wirst du nie bereuen, so lange Teil davon zu sein, wie es nur geht. Ich genieße die Zeit mit den Leuten, mit denen ich arbeite, für die ich arbeite“, hält Stewart ein eindeutiges Plädoyer für den Eishockeysport, erklärt damit unumwunden, warum ein anderes Einsatzgebiet oder ein Rückzug ausgeschlossen sind.

VEREINIGUNG ZWEIER WELTEN

Doch es ist nicht nur Eishockey, an dem der ehemalige Verteidiger einen Narren gefressen hat. Für viele Jahre war Deutschland das Land, in dem Stewart seiner geliebten Arbeit nachging. Hier hat er seine Frau kennengelernt hier hat er eine andere Seite des Lebens entdeckt: „Man ist immer ein Produkt der Personen, mit denen man sich umgibt. Daher habe ich mir durchaus deutsche Eigenschaften angeeignet. Ich verstehe die Sprache, spreche sie aber nicht so oft, wie ich sollte. Außerdem mag ich die Genießermentalität der Deutschen“, vereint Stewart aus seiner Sicht die besten Eigenschaften von Nordamerikanern und Deutschen.

Und in Deutschland wiederum hat es ihm ein Standort ganz besonders angetan. „Ich erinnere mich noch ganz genau an meine ersten Tage in Mannheim. Das ist jetzt über 20 Jahre her. Die ersten Gespräche mit Daniel Hopp, Matthias Binder und Marcus Kuhl werde ich nie vergessen. Es war von Anfang an eine ganz besondere Chemie zwischen uns. Es hat geklickt, perfekt gepasst. Ich zu den Adlern, die Adler zu mir“, muss Stewart nicht lange an längst vergangene Tage zurückdenken. „Ich kann mich auch an jeden Einzelnen aus dem Team erinnern. Es war eine tolle Truppe, ein Start, der nicht besser hätte laufen können. Ich bin in diesen Jahren als Trainer sehr gewachsen.“

KEIN VOM AUSSTERBEN BEDROHTER DINOSAURIER

Dass Stewart während der Saison 2003/04 seinen Hut nehmen musste, nimmt er niemandem übel. „Die Organisation musste damals eine Entscheidung treffen, wollte eine andere Richtung einschlagen. Es gibt Dinge im Leben, die man später bereut, die man aber zu dem Zeitpunkt, an dem sie passieren, nicht ändern kann. Ich war und bin ein selbstbewusster Trainer, aber heute verpacke ich das alles etwas smarter“, weiß Stewart inzwischen, dass er sich als Trainer weiterentwickeln musste, um nicht als vom Aussterben bedrohter Dinosaurier zu enden. „Die Generation Spieler heute ist wiederum eine ganz andere als noch vor 20 Jahren. Wer Erfolg haben will, muss wissen, wie er mit diesen Veränderungen umgeht. Das ist es, worauf es ankommt. Als Veteran, der ich heute bin, möchte ich dieses Wissen, dieses Verständnis für Weiterentwicklung weitergeben“, sieht sich Stewart auch in einer Art Mentoren-Rolle.

Seiner Beziehung zu Mannheim, zu den Adlern, hat die vorzeitige Trennung in jedem Fall keinen Abruch getan. „Die Adler und ich gehen schon so lange gemeinsam durchs Leben. Wir vertrauen uns. Sie waren und sind wichtig für mich, ich gebe ihnen einen Teil zurück, sei es als Feuerwehrmann, Scout oder Trainer.“ Stewart hat in Mannheim viel bewegt, hat in Mannheim viel erreicht. Stewart war in Mannheim erfolgreich. So erfolgreich, dass er einst sagte, dass sich ein zweiter Platz anfühlt, wie seine Schwester zu küssen. Nur der Titel kommt demnach für ihn in Frage. „Siege und Meisterschaften schaffen höhere Erwartungen. Erfolgserlebnisse sorgen dafür, dass sich eine Siegermentalität breitmacht, in der Mannschaft, aber auch im Umfeld. Natürlich schafft diese Erwartungshaltung einen gewissen Druck. Dieser Druck ist aber ein Privileg, das du nur als erfolgreiches Team besitzt, mit dem du auch nur als erfolgreiches Team umzugehen weißt. Mannheim weiß das. Es ist eine Ehre für mich, in dieser Eishockeystadt mit Ihren leidenschaftlichen Fans Trainer zu sein.“

Längst könnte Bill Stewart seinen Ruhestand genießen. Er könnte auf der Veranda seines Hauses sitzen, noch mehr Zeit in den Wäldern und beim Angeln verbringen. Er könnte die Natur, die Ruhe genießen. Doch wer sein Plädoyer hört, sein Plädoyer für Eishockey, sein Plädoyer für Mannheim, wer die Leidenschaft in seinen Augen sieht, der weiß: Für Bill Stewart gibt es kein Leben ohne diese Leidenschaft, gibt es kein Leben ohne Eishockey, kein Leben ohne die Adler.