PLAYOFFS ALS REINFORM DES EISHOCKEYS

Marcel Goc mit seinem ersten und einzigen Finaltor. Cody Lampl, der als Verteidiger einen Konter mit dem zwischenzeitlichen 2:0 abschließt. Der gerade erst 18-jährige Moritz Seider setzt in der 14. Minute einen Schuss an die Latte - es wäre vielleicht schon die Entscheidung gewesen. Allein all das zeigt, was in einem Eishockeyspiel, in nur einem Drittel, in einem Drittel Playoff-Eishockey, passieren kann. Nach mehr als der Hälfte der Partie führen die Adler an diesem Freitag, den 26. April 2019, mit 4:1. Doch nach 60 Minuten steht es im fünften Finalspiel um die deutsche Eishockeymeisterschaft zwischen Mannheim, mit der 3:1-Serienführung im Rücken, und München 4:4. Verlängerung in der SAP Arena.

13 Minuten und 30 Sekunden sind in der ersten Overtime gespielt, als Kapitän Marcel Goc das gegnerische Tor umrundet, Richtung rechten Bullykreis fährt, mit der Rückhand zu Garrett Festerling ablegt. Ein letzter Pass von den rechten Halfboards zurück in den Bullykreis, ein Direktschuss von Thomas Larkin. Ende. Jubel. Grenzenlose Freude. ,,Ich habe mir diese Situation inzwischen unzählige Male angeschaut. Ich bekomme noch immer Gänsehaut. Dieses Tor, dieses Spiel, diese Meisterschaft ist mit Sicherheit das Highlight meiner bisherigen Karriere", erinnert sich eben jener Thomas Larkin an die alles entscheidende Szene.

Auf dem Eisumherfliegende Schläger, Helme, Handschuhe. Auf den Rängen - niemand sitzt mehr. Umarmungen, Abklatschen, Einschlagen. Erlösung, Erleichterung, Genugtuung, Stolz, Befriedigung. Auf der Spielerbank fällt sich das Trainerteam in die Arme. Es ist geschafft. Der siebte DEL-Titel ist für die Adler in trockenen Tüchern. Vier Jahre nach der letzten Meisterschaft. Es ist der verdiente Lohn einer anstrengenden Saison. Einer Saison, die neun Monate zuvor, im August 2018 begonnen hatte und einer Fabel glich. Punkterekord, souveränes Viertelfinale, souveränes Halbfinale. „Ich kann mich noch an jeden Mitspieler, an die Trainer, einfach an alles erinnern. Wir hatten uns diese Meisterschaft absolut verdient. Wir waren eine ganz spezielle Gruppe, haben alle an einem Strang gezogen", macht der italienische Nationalspieler deutlich, wie wichtig die mannschaftliche Geschlossenheit ist. ,,Ich habe mein Tor immer nur als Tor gesehen, das einen kleinen Teil dazu beigetragen hat, dass wir Meister wurden. Jeder hat über die gesamte Saison irgendetwas zu diesem Erfolg beigesteuert. Wir haben uns vertraut, wussten, dass wir uns voll aufeinander verlassen können."

HOCHEMOTIONAL

Über die Boxen läuft zunächst noch ,,Song2" von Blur, das Torlied der Adler, gefolgt von Mickie Krauses ,,Oh, wie ist das schön". Die Fans stimmen mit ein. Man sieht Tränen der Freude, lachende Gesichter, Fäuste, die gen Arenadach gestreckt sind. ,,Zu Hause in der Verlängerung eine Meisterschaft zu holen, hat etwas von einem wahr gewordenen Traum. Wir hatten zu jeder Zeit das Gefühl, dass wir diesen Titel verdienen. Wir haben München nichts weggenommen."

Enttäuschung, Leere, Frustration und Trauer herrscht dagegen auf der anderen Seite, auf Seiten der Münchner. Eishockeyein hochemotionaler Sport. Ein intensiver, anstrengender, aufreibender, schneller und unberechenbarer Sport. Ein Sport, eine Leidenschaft, gespickt mit Dynamik, Dramatik, Spannung und einer gewissen Ästhetik. Die Playoffs bilden all das dabei in Reinform ab. Denn in den rund sieben Wochen, in denen von der 1. Playoff-Runde bis zum Finale die Entscheidung über den neuen Meister fällt, zählt nichts anderes. Die Intensität, die Allgegenwärtigkeit von Spielen im Zwei-Tage-Rhythmus, das Interesse an Sport, Club und Spielern verdrängt alles andere zur Nebensache, in den Hintergrund. ,,Die Playoffs sind das große Finale einer Saison. Entweder du erledigst deinen Job, gewinnst und gehst eine Runde weiter, oder du verabschiedest dich in die Sommerpause. Es gibt keine Chance auf Wiedergutmachung. Es gibt nichts anderes. Und es gibt nicht viele Chancen auf einen Titel. Ein Leben ist nicht so lang, eine Karriere nur ein kurzer Teil davon. Wenn du die Gelegenheit bekommst, Meister zu werden, darfst du sie nicht verschwenden.

UNABDINGBARER SIEGESWILLE

Den Job erledigen, siegen, marschieren. So lautet die so leicht dahergesagte goldene Regel für die Playoffs. ,,Jedes Spiel, jeder Wechsel kann der letzte der Saison sein. Du musst alles reinwerfen, denn wenn du das letzte Spiel der Saison nicht gewinnst, fühlt es sich an, als hättest du deinen Job nicht richtig gemacht, ihn nicht zu Ende gebracht. Verlieren ist eigentlich keine Option, und wenn man doch mal das Eis mit einer Niederlage verlässt, muss man sich sagen: Das ist alles, was ihr bekommt. Der pure Siegeswille macht den Unterschied. Es braucht zwölf Siege für eine Meisterschaft, die einem das ganze Leben lang niemand mehr nehmen kann. Es kann verdammt schwer werden auf diesem Weg, es kann so viel passieren. Aber mit dem Sommertraining, den Einheiten im Kraftraum, der Hauptrunde arbeitet man ausschließlich auf dieses eine Erfolgserlebnis hin", gibt es für den hünenhaften Verteidiger keinen zweiten Sieger.

Eishockey ist komplex. Eishockey ist taktisch. Eishockey lebt von dem Moment. Dem einen Moment, in dem alles klappt, aber auch dem Moment, in dem ein kleiner Fehler, eine Unachtsamkeit alles auf den Kopf stellen kann. Eishockey weckt Emotionen, braucht Emotionen. Eishockey ist ein Sport von Sekunden, Zentimetern. Und ein Sport, der neben unglaublicher körperlicher Fitness ein Maximum mentaler Stärke verlangt. Lernen, vergessen, neu fokussieren. Entscheidungen müssen in Sekundenbruchteilen getroffen werden. Das alles noch im Team. In den Playoffs braucht es all das auch. Aber auf einem noch höheren Level. Alles ist schneller, härter, direkter, intensiver. Playoffs sind die Zeit, in der es um alles geht. Playoffs sind die Zeit, in der in wenigen Augenblicken unglaublich viel passiert. Playoffs sind die Zeit, in der es um alles geht. Oder um nichts. Playoffs - das bedeutet Eishockey in seiner Reinform.