So ist das im geselligen Südwesten. Kaum ist Fasnacht vorbei, da beginnt die Saison der Weinfeste zum Start in der Region der Mathaisemarkt in Schriesheim. Im jeweiligen Brauchtum nehmen Frauen eine zentrale Rolle ein - dort als Fasnachtsprinzessin, hier als Weinkönigin - in Schriesheim werden sie seit genau 70 Jahren von der Winzergenossenschaft gewählt.

Die erste Weinkönigin gibt es in Deutschland 1931. Hinter dem Land liegt die Weltwirtschaftskrise von 1929, die speziell die Pfalz mit ihrem Weinbau trifft. Um den Absatz anzukurbeln, entsteht die Idee einer », personalisierten Produktrepräsentanz", wie die Werbebranche die Institution der Weinkönigin heute nennt.

Hinter dieser Erfindung steckt denn auch kein Winzer, sondern ein Verleger: Daniel Meininger, Chef eines Neustädter Fachverlages für Weinkultur. Ausgesucht wird die 18-jährige Ruth Bachrodt, Tochter eines Direktors der Elektrizitätswerke in Pirmasens in der Westpfalz, wo es gar keinen Weinbau gibt - auch wenn ,,Bachrodt" irgendwie an ,,Bacchus" erinnert. Gekrönt wird in Neustadt, und das ist - meistens - bis heute so.

Die Pfälzerin bleibt zunächst allein auf weiter Flur, ist damit de facto auch Deutsche Weinkönigin. Nach dem Kriege ändert sich das. Alle 13 Anbaugebiete küren jetzt eine Repräsentantin, aus deren Mitte 1949 die erste Deutsche Weinkönigin gewählt wird; Elisabeth Kuhn.

Die Bedingungen sind hart: Weder verheiratet noch geschieden, dafür aus einer Winzerfamilie stammend. Drei Jahrzehnte entsprechen sie diesem Bild des braven Mädchens in Tracht, ,,von kräftiger Statur, kerngesund und apfelbäckig", wie die „Süddeutsche Zeitung" zu Kuhns Wahl 1950 schreibt.

Doch das Amt wandelt sich. Das zeigt sich schon an den Kronen. Die erste von 1949 ist massiv, wirkt äußerlich mittelalterlich. Die jetzige von 2015 wiegt ganze 90 Gramm und ist nur sechs Zentimeter hoch.

Ab den 1980er Jahren werden auch die obligatorischen Dirndl abgeschafft, die Auswahlkriterien gelockert. Nunmehr verlangen sie nur noch eine „starke Verbundenheit mit deutschen Weinen" in Form einer ,,weinbezogenen Berufsausbildung" oder einer familiären Bindung mit dem heimischen Weinbau".

Tanzen und „gutes Aussehen" oder das, was man(n) dafür hält, sind nicht mehr ausschlaggebend, dagegen Fremdsprachen und Schlagfertigkeit. Nicht ohne Grund wird eine Weinkönigin, Julia Klöckner, später zur Bundesministerin.

Das Amt verändert sich

Erste Weinkönigin in Deutschland: Pfälzerin Ruth Bachrodt 1931.
Erste Weinkönigin in Deutschland: Pfälzerin Ruth Bachrodt 1931.

Auch und sogar auf unteren Ebenen zeigt sich die Institution zeitgemäß: 2019 wird Simona Maier Badische Weinprinzessin. Das Besondere: Geboren ist sie als Junge. Als solcher absolviert sie eine Weinlehre, wird Kellermeister, 2013 gar Bundessieger beim Wettbewerb der Nachwuchskräfte in „Grünen Berufen“, erhält die Urkunde aus der Hand von Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich.

2017 erfolgt das Coming out", Maier wird Frau. Bewusst ein Zeichen setzend, tritt sie in ihrer Heimat als Weinprinzessin für den Bereich Kraichgau an - und wird gewählt. Und steigt zur Badischen Hoheit auf. Sie überzeugt mit ihrem Auftreten und ihrem Fachwissen.

In Schriesheim gilt es dagegen anfangs schon als kleine Sensation, als die Weinprinzessinnen Sonja Mohr und Katrin Sandel 2001 im Zehntkeller ihre Schulter-Tattoos offen zeigen.

Doch auch hier entwickelt sich das Amt weiter. Es entsteht 1951, als Friedel Krämer, Wirtstochter aus dem bekannten Ausflugslokal ,,Ludwigstal", vor Ort als erste Weinkönigin auftritt. 1953 wird eine solche erstmals von den Gremien der WG gewählt. Zeittypische Probleme bleiben nicht aus. 1954 wird die Winzertochter Helene Sander zur Königin gekürt. Doch kurz darauf zeichnet sich ab, dass sie Nachwuchs erwartet. Nur vier Monate nach ihrer Wahl muss sie die Krone abgeben.

Für die Herkunft der Weinhoheiten aufschlussreich ist eine Statistik der WG zu ihrem 75. Jubiläum 2005. Von den 33 Weinköniginnen zwischen 1973 und 2005 sind nur zwei Winzerinnen. Immerhin sechs stammen aus Familien, die hauptberuflich Landwirtschaft und dabei auch Weinbau betreiben, können also im weitesten Sinne ebenfalls als „Winzertöchter" bezeichnet werden. 16 der 33 absolvieren eine kaufmännische oder Verwaltungsausbildung, acht sind Schülerinnen, sechs auf einem Gymnasium.

Für Diskussionen sorgen in den 1990er Jahren die Kuss-Rituale. 1996 entsteht an der Badischen Bergstraße eine intensive Diskussion, inwieweit sich eine Weinkönigin bei offiziellen Anlässen küssen lassen muss.

Ausgelöst wird sie durch Judith Schröder, Weinkönigin von Lützelsachsen; sie wendet sich an die Öffentlichkeit und bittet unter Hinweis auf die Gefühle ihres Freundes, allzu innige Küsse zu unterlassen. In Schriesheim ist es daher üblich, auf Küsse direkt auf die Lippen zu verzichten und es bei Wangenküssen zu belassen. -tin