Im ersten Moment klingt es schwer vorstellbar. Aber im Südwesten Englands, beim Glastonbury-Festival mit meist um die 200 000 Besuchern, ist es schon einmal gelungen: Strom aus Urin zu machen. Vom „energiegeladensten Klo der Welt" ist da die Rede gewesen, installiert von der Universität Bristol. Und das soll nun erstmals nach Deutschland übertragen werden, nach Mannheim während der Bundesgartenschau vom 14. April bis 8. Oktober. ,,Pee-Power" lautet das Schlagwort für das Konzept, offiziell ,,Bioelektrochemische Wasserstoffproduktion" genannt und von der Landesgesellschaft BIOPRO Baden-Württemberg mit der Forschungsstelle des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches sowie Wissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Technischen Universität Hamburg umgesetzt.

Das funktioniert, weil es Bakterien gibt, welche sich aus Urin ernähren, speziell aus den Kohlehydraten, die darin vorhanden sind. ,,Durch die mikrobielle Elektrolysezelle wird Wasserstoff gewonnen, welcher dann durch eine Brennstoffzelle Strom liefert", erklären die Wissenschaftler das Prinzip. Die Zersetzung führt zu positiven und negativen Ladungen, wodurch schwacher Strom freigesetzt werde. Und der wird reichen, um den Besuchern eine Ladestation für Handys anzubieten.

Was sich wie eine Spielerei anhört, hat einen ernsten Hintergrund. Die englischen Forscher haben ihr Projekt zu einem Urin-Strom-Generator weiterentwickelt, der nicht nur aus Urin Energie erzeugen kann, sondern gleichzeitig schnell aufgebaut ist - als mobile Toiletten-Einheit etwa in Flüchtlingsgebieten, wo die Toiletten-Areale gerade zur Sicherheit von Frauen so beleuchtet werden könnten.

An so etwas denkt zunächst niemand bei einer Bundesgartenschau. Aber die Mannheimer Bundesgartenschau will ja auch bewusst anders sein. Blumenschau und Sommerfest - ja, aber nicht nur: So lautet das Credo der Macher um Michael Schnellbach, der Geschäftsführer der Bundesgartenschau-Gesellschaft. Denn passend zur Erfinderstadt Mannheim wird es als großen Bereich der Bundesgartenschau 2023 auf einem der beiden Gartenschau-Areale, der früheren Spinelli-Kaserne, ein sogenanntes Experimentierfeld zu den vier Leitthemen „Klima“, „Umwelt“, „Energie“ und „Nahrung" geben mit vielen Innovationen und Beispielen für Nachhaltigkeit. ,,Selbstverständlich dürfen sich die Besucher auf einen entspannten Aufenthalt in Mannheim und viele Blumen freuen, aber wir wollen noch mehr", erklärt Schnellbach dazu. „Wir wollen die Besucher über neue Entwicklungen informieren und ihnen Denkanstöße und Ideen für zu Hause mitgeben", ergänzt Hanspeter Faas, Leiter der Abteilung Ausstellung, aber auf „spielerisch leichte Art".

Spannend wie spielerisch wird sicher die Präsentation eines autonom und elektrisch fahrenden Fahrzeug-Konzepts, entwickelt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. ,,U-Shift" nennt sich das. Die Teststrecke für das Fahrzeug verläuft entlang des nördlichen Rands des Gartenschau-Geländes Richtung Neubaugebiet Käfertal-Süd. Das zweiteilige Fahrzeug besteht aus einem Unterteil mit Antriebssystem und Batterie (,,Driveboard") sowie einem Oberteil mit Transportkapsel, entweder für Personen- oder für Güterverkehr. Das Driveboard transportiert die Kapsel - leise und umweltfreundlich - autonom zu dem Ziel, das vorher von der Leitzentrale vorgegeben wurde und setzt sie da ab - „ähnlich wie ein Gabelstapler im Getränkemarkt", formuliert es DLR-Abteilungsleiter Tjark Siefkes. Bei der Bundesgartenschau könne dem Publikum die Technik des autonomen Fahrens gezeigt werden, während die Forscher durch den Betrieb von Prototypen auf dem stark frequentierten Gartenschaugelände wichtige Erfahrungen sammeln. Später mal gedacht ist das „,als Anschluss an den Öffentlichen Personennahverkehr oder für die Verbindung von großen, außerstädtischen Parkplatzen in die Innenstadt", erläutert Hanspeter Faas.

Ein wichtiges Thema auf dem Experimentierfeld wird auch die Digitale Technologie in der Landwirtschaft sein - sprich die Frage, wie man Dünger sparen kann durch Einsatz moderner Technik. Dabei werden die Größe und das Wachstum von Ackerpflanzen durch Kamera-Drohnen erfasst und an einen Computer gesendet. Dieser steuert dann die Düngung jeder einzelnen Pflanze, so dass jede nur so viel ergänzenden Nährstoff bekommt, wie sie wirklich braucht. ,,Das spart Dünger und ist gut für die Umwelt und Böden“, so Faas. Dazu kommen die Präsentation besonderer neuer Pflanzensorten, die - wie bestimmte Rosen - dem Klimawandel und damit immer trockeneren Sommern besser standhalten oder Weinreben, die widerstandsfähiger gegen Schädlinge sind.

Oder wie wäre es mit ungewöhnlich wachsenden Pflanzen? Gravitationsbiologie nennt sich das Forschungsprojekt, bei dem Bäume quasi aus der Fassade herauswachsen. ,,Das ist eine moderne, umfangreichere Form der Fassadenbegrünung in dicht bebauten Städten", erläutert Michael Schnellbach, der Geschäftsführer der Bundesgartenschau. Und weil Bäume, selbst wenn man sie waagrecht anpflanzt, ja normalerweise in die Höhe und damit nach oben wachsen, „werden sie einmal in 24 Stunden gedreht und so das waagrechte Wachstum beibehalten“, erklärt Schnellbach. Das werden Wissenschaftler der Universität Hohenheim die Bundesgartenschau auf dem Gelände an einem Gebäude mit einem vertikalen Fassadengarten demonstrieren.

Stichwort Gebäude: Dazu wird der Naturfaserpavillon „ReGrow" gehören, ein Projekt vom KIT Karlsruhe und der Firma FibrTech, konzipiert über eine Künstliche Intelligenz. Dabei wolle man "einen Höchstgrad an nachhaltiger Bautechnologie mithilfe modernster technischer Fertigungsverfahren erreichen", erklärt Faas. Der Leichtbau besteht aus biologisch nachwachsenden Rohstoffen und basiert auf zwei Technologien, die während des Projekts erprobt und weiterentwickelt werden sollen: robotisches Wickeln von Flachs sowie ein dreidimensionaler Flechtprozess für Weiden. Während der Bundesgartenschau soll so ein Ort für Vorträge und Ausstellungen geschaffen werden, innovativ und zugleich nachhaltig durch einfachen Rückbau. ,,Die Rückführung der Materialien wird von Anfang an mitgedacht und mit eingeplant, etwa leichte Schraubenfundamente statt Betonmasse“, ja Teile des Pavillons können sogar nach Abbau kompostiert werden.

Einzigartig: der bionische Holzpavillon, den die Metropolregion nutzt. Bild: BUGA Heilbronn/Dietmar Strauss
Einzigartig: der bionische Holzpavillon, den die Metropolregion nutzt. Bild: BUGA Heilbronn/Dietmar Strauss

Ein anderes innovatives Gebäude wird in Mannheim wiederverwendet, nachdem es auf der Bundesgartenschau in Heilbronn 2019 bereits einen prominenten Platz eingenommen hatte: Der komplett digital geplante und roboterbasiert gefertigte Holzpavillon, der aussieht wie ein Seeigel, gilt als weltweit einzigartig. Konzipiert ist er bionisch - sprich ihren technischen Konstruktionen liegen Vorbilder aus der Natur zugrunde. Entstanden ist er am Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen der Universität Stuttgart und am Institut für computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung als Vorbild für neue Baustoffe und moderne Herstellung mit Robotern.

Er besteht aus 376 Segmenten, ist sieben Meter hoch und überspannt 30 Meter und eine Fläche von 500 Quadratmetern. In Mannheim wird er am Rande des Experimentierfelds platziert. Dort will die Metropolregion Rhein-Neckar den Besuchern ihr „großes Kultur- und Freizeitangebot mit allen Facetten präsentieren“, kündigt Christoph Trinemeier, der Leitende Direktor des Verbands Region Rhein-Neckar (VRRN), an. Zugleich setze man damit ein Zeichen der Nachhaltigkeit".

Solch ein Zeichen der Nachhaltigkeit ist ebenso die Mannheimer Seilbahn, die während der Bundesgartenschau die beiden Ausstellungsgelände Spinelli-Areal und Luisenpark verbindet. Deren Kabinen verkehren derzeit bereits in Almere bei der Floriade, und nach dem Einsatz in Mannheim wird das gesamte System abgebaut und weiterverkauft. PETER W. RAGGE