Rückblick: Es war der Internist Franz Volhard, Großvater der inzwischen 80-jährigen Medizin-Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard, der sich in der Quadratestadt vor mehr als einem Jahrhundert als Ärztlicher Direktor der städtischen Krankenanstalten vehement für ein Laboratorium einsetzte - damals nicht einmal bei Universitätskliniken selbstverständlich. Die Leitung der mit modernsten Geräten ausgestatteten Forschungsstätte übernahm 1910 der Physiologe Ernst Josef Lesser: Der wegweisende Pionier sollte mit seinen Frosch-Experimenten entscheidend zum Entschlüsseln des Insulin-Wirkmechanismus beitragen.

Der Name ,,Diabetes mellitus", was so viel wie ,,honigsüßer Durchfluss" bedeutet, kommt nicht von ungefähr: Schließlich kannte man schon in der Antike die von großem Durst und Leistungsabfall geprägte Krankheit, die sich daran erkennen ließ, dass der Urin süß war - weshalb Ärzte Schnüffeln und Schmecken zwecks Diagnose einsetzten. Vermutlich hätte sich Hippokrates, legendärer ,,Vater der Heilkunde", nicht einmal in kühnsten Träumen vorstellen können, dass es eines fernen Tages möglich werden würde, ohne Nase und Zunge, aber dafür mit kleinen Papier-Streifen diese Erkrankung zu bestimmen. Es sollte jedoch bis Anfang des 20. Jahrhunderts dauern, ehe Forscher, darunter auch im Mannheimer Krankenhauslaboratorium, herausfanden, dass Urin immer dann „honigsüß“ ist, wenn dem Organismus nicht mehr gelingt, Zucker im Blut abzubauen.

Zunächst war ein Viertelliter des roten Lebenssaftes nötig, um Blutzucker in mehreren Arbeitsschritten, nämlich Filtrieren, Zugabe von Chemikalien, Aufkochen und Abkühlen, zu messen. Kein Wunder, dass diese umständliche Prozedur den Erfindergeist rund um die Welt beflügelte. Zwar machten Ende der 1960er zunächst in den USA und Japan erste kleine Analyse-Apparaturen von sich reden - aber revolutionieren sollte das Messen des Glukosespiegels ein deutsches Gerät namens ,,Reflomat" - in jahrelanger Forschungsarbeit von Boehringer Mannheim, dem Vorläuferunternehmen von Roche Diagnostics, ausgetüftelt. In knalligem Orange und gut ein Kilogramm schwer kam das noch analog arbeitende und auf Trockenchemie basierende Miniatur-Labor Mitte der 1970er Jahre auf den Markt und nahm dem Arzt komplett die manuelle Auswertung von Messdaten ab. Das spätere Modell Reflolux, nun nicht mehr orange, sondern hell, sorgte 1983 insofern für Furore, als es unkompliziert zu Hause genutzt werden konnte und damit Diabetes-Patienten den regelmäßigen Weg zum behandelnden Arzt ersparte: Ein kleiner Stich, ein roter Tropfen auf den Teststreifen und schon wurde der Blutzuckerspiegel sichtbar. Zwei Jahre später, 1985, bekam das Analysegerät den Innovationspreis der deutschen Wirtschaft zuerkannt. Auf Mannheimer Maimärkten sollte das prämierte Gerät für wahre Menschenaufläufe sorgen. Grund: Das Ausstellungspublikum konnte sich in der Gesundheitshalle am Stand des Pharmaunternehmens ,,fer umme" den Blutzucker messen lassen - was auf riesiges Interesse stieß, und außerdem so manch einen unerkannten Diabetes offenbarte.

„Innovation ist, wenn man trotzdem weiter macht", lautet ein beliebter Kalenderspruch. Und genau das gilt auch für Techniken zum Bestimmen von Blutzucker. Um Messungen unterwegs oder mit zittrigen Händen aufgrund von Unterzuckerung zu erleichtern, brachte Roche unter der Marke Accu-Chek mobile Geräte ohne einzelne Teststreifen und stattdessen mit Teststreifentrommel auf den Markt. Im Mannheimer Roche-Werk wurde außerdem das erste bluetooth-fähige Blutzucker-Messsystem der Welt produziert. Und was sich noch vor der Jahrtausendwende als Science-Fiktion angehört hätte, ist längst smarte Wirklichkeit: Accu-Chek Aviva Connect schickt Blutzuckerwerte automatisch an eine App auf dem Smartphone und überträgt diese an ein Online-Portal. Und angesichts der flächendeckend fortschreitenden Digitalisierung von Krankenhäusern beschreitet Roche neue Wege beim sogenannten ,,Point of Care" - Testing und damit bei Labordiagnostik direkt am Patientenbett oder in der Notfallaufnahme. Das fürs professionelle Glukose-Messmanagement herausgebrachte System mobile ,,cobas pulse" lässt sich mit ausgewählten Apps erweitern und obendrein mit anderen Medizingeräten sowie Datenquellen vernetzen. Obwohl das Gerät so handlich und einfach bedienbar wie ein Smartphone ist, bietet es mit rund 1600 Datenpunkten pro Messung Ergebnisse auf Laborniveau. Bei Entdeckungen und Erfindungen, die rund um Diabetes in der Quadratestadt Geschichte geschrieben haben, darf jenes Enzym-Gen nicht fehlen, das die Bezeichnung ,,Mannheim“ trägt. Es handelt sich um eine genetische Variante auf dem Chromosom 18, die selbst bei Menschen mit langjähriger Zuckererkrankung die Chance erhöht, dass ein gefürchtetes Folgeleiden, nämlich eine geschädigte Niere, ausbleibt. Diesem Phänomen kamen 2005 Mediziner der Mannheimer Universitätsmedizin auf die Spur. Natürlich wäre es wunderbar, wenn solcherlei biologische Schutzmechanismen therapeutisch kopiert werden könnten. Aber solange die auf Insulin-Mangel beruhende Stoffwechselerkrankung mit dem Risiko von Folgeschäden nicht geheilt werden kann, kommt der Blutzuckerkontrolle zwecks maßgeschneiderter Dosierung des gespritzten Hormons entscheidende Bedeutung zu. Und hierfür liefern Forscher und Forscherinnen in Mannheim nach wie vor zukunftsträchtige Impulse. WALTRAUD KIRSCH-MAYER