Stabilo-Stifte kennt wohl nicht nur jedes Kind: Dass die Grundform dafür von GEHR produziert wird, ist dagegen weniger gängig. Seit 1955 bereits ist das Mannheimer Unternehmen mit der Marke Stabilo eng verbunden. Auch Elon Musk zählt mittlerweile zu den Kunden des Familienbetriebs. Bilder: GEHR/Stabilo
Stabilo-Stifte kennt wohl nicht nur jedes Kind: Dass die Grundform dafür von GEHR produziert wird, ist dagegen weniger gängig. Seit 1955 bereits ist das Mannheimer Unternehmen mit der Marke Stabilo eng verbunden. Auch Elon Musk zählt mittlerweile zu den Kunden des Familienbetriebs. Bilder: GEHR/Stabilo

GEHR-wer? Produkte aus dem Hause GEHR haben Millionen Menschen nahezu täglich in der Hand. Doch das Mannheimer Familienunternehmen, das in diesem Jahr sein 90-jähriges Bestehen feiert, kennen die wenigsten von ihnen. Der Grund: Die GmbH mit Sitz in der Casterfeldstraße und neun weiteren Standorten in Europa, Nordamerika und Asien ist einer dieser ,,hidden champions": ein mittelständischer Zulieferer, vom Endverbraucher kaum wahrgenommen, aber nur schwer ersetzbar bei der Produktion vieler Güter für Industrie und täglichen Bedarf. Helmut Gehr, in dritter Generation an der Spitze des Herstellers von thermoplastischen Kunststoff-Halbzeugen, würde den Begriff nie gebrauchen, er sagt: ,,Wir treten lieber bescheiden auf." Auch ,,Marktführer" will er nicht genannt werden. Er relativiert: ,,Wir sind der Kleinste der vier Großen."

Was er aber - in aller Bescheidenheit - zugibt: Zu etlichen Produkten haben Ingenieure seines Hauses die entscheidenden Ideen geliefert. Zum Beispiel für den Schwan-Stabilo-Pen 68, dessen klassisch-gestreiftes Sechskant-Profil im Werk in der Casterfeldstraße entwickelt wurde. ,,Wir arbeiten schon seit 1955 mit Schwan-Stabilo zusammen", erzählt der Chef von 250 Mitarbeitern. ,,Zunächst haben wir Röhrchen für Kugelschreiberminen produziert." Als in den 1960er Jahren ein neuer Stift aus Kunststoff auf den Markt kommen sollte, optisch angelehnt an die Bleistifte der Marke, musste ein Verfahren ausgetüftelt werden, mit dem exakte Linien auf die Kanten der bunten Hüllen aufgebracht werden konnten. Ein GEHR-Mitarbeiter kaufte eine Tube der damals ganz neuen Signal-Zahnpasta, schnitt sie auf und erkannte, nach welchem Prinzip die roten Streifen auf die weiße Creme kamen. „Das hat er dann für unsere Produktion adaptiert", erklärt Gehr. Bis heute liefert sein Unternehmen die schmalen Rohre nach Franken - in mittlerweile rund 70 verschiedenen Farben.

So laufe die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren meistens, berichtet der Mannheimer, der 1974, nach dem plötzlichen Tod des Vaters, als 24-Jähriger die Leitung des Unternehmens übernommen hatte: „Ein Kunde kommt mit einem Problem zu uns, wir finden eine Lösung." Der Stolz auf seine Mitarbeiter ist ihm anzumerken, wenn er erzählt, wie viel ,,Hirnschmalz" sie oft investierten: ,,Unsere Produktion wurde im Lauf der Jahrzehnte stetig optimiert. Heute produzieren wir vollautomatisch, in immer höheren Geschwindigkeiten, mit immer neuen Anforderungen, aber immer extrem präzise. Auch wir spüren den Preisdruck, daher müssen wir uns ständig etwas Neues einfallen lassen."

GEHR-Produkte finden in den verschiedensten Branchen Verwendung: in der Lebensmittelindustrie, in Maschinenbau und Elektrotechnik und auch in der Medizintechnik, für die die Produktlinie Medi-GEHR entwickelt und zertifiziert wurde. In Zusammenarbeit mit der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität entstand ein Verfahren für den 3D-Druck in der Dentaltechnik und auch in der Welt der Kosmetik ist GEHR allgegenwärtig. Für L'Oreal werden spitzbare Kunststoffhüllen für wasserfeste Kajalstifte und Liner hergestellt - auch aus nachwachsenden Rohstoffen, die unter dem Handelsnamen Eco-GEHR vertrieben werden. Schon 2008 hatte GEHR das nachhaltige Material eingeführt. ,,Dann kam die Finanzkrise und keiner wollte es", erinnert sich Helmut Gehr, ,,aber mittlerweile hat es sich gerade für Kosmetikprodukte durchgesetzt." Eine weitere nachhaltige Produktlinie aus recycelten Kunststoffen hat GEHR gerade bei der Fachmesse in Düsseldorf vorgestellt, und auch den eigenen CO2-Abdruck hält das Unternehmen so klein wie möglich - der Ökostrom kommt aus Norwegen und möglichst ab dem kommenden Jahr soll mit Prozesswärme geheizt werden. Die Bestückung von 20 000 Quadratmetern Dachfläche mit Solarpanels ist in Vorbereitung.

Meist entstehen langfristige Partnerschaften, wenn GEHR passgenaue Lösungen für Kunden findet. Auch das Schweizer Unternehmen Georg Fischer, das unter anderem Trinkwasser-Rohrsysteme für den Weltmarkt anbietet, vertraut dauerhaft auf die Qualität made in Mannheim, denn, so Helmut Gehr: ,,Mit unseren Rohren wurde das Leckage-Risiko um 50 Prozent gesenkt. Wir haben Aufträge für die nächsten 30 Jahre." Die zu erledigen wird dann Aufgabe von Gehrs Tochter Annette sein, die vor 14 Jahren in die Unternehmensleitung einstieg und das Steuer übernehmen wird, wenn Helmut Gehr sich zurückzieht. Derzeit habe er noch keine Lust auf den Golfplatz, betont er - zumal ihm die Arbeit immer noch Spaß mache und er sich spitzbübisch über den derzeit spektakulärsten Auftrag freut, über dem seine Ingenieure sich gerade die Köpfe zerbrechen: ein Schienensystem für Elon Musks visionäres Projekt „Hyperloop". Ob das revolutionäre Transportsystem je Wirklichkeit wird, ist äußerst fraglich, doch die Forschungsarbeit in Kooperation mit der TU München trägt erste Früchte. Und Elon Musk eines Tages bei einem GEHR-Symposium zu begrüßen, die der Chef alle paar Jahre in großem Rahmen veranstaltet - das wäre nun wirklich ganz nach Helmut Gehrs Geschmack. UTE MAAG