Sie können einem schon leidtun, diese Grundschüler mit ihren riesigen Schulranzen, in denen manche von ihnen bis zu 40 Prozent ihres eigenen Körpergewichts auf den zarten Schultern tragen. Auch Gianluca Siciliano hatte Mitleid. Und eine Idee. Der 31-jährige Pfälzer hat einen Rucksack entwickelt, der aus zwei Teilen besteht und das Gewicht ergonomisch gerecht verteilt. Zusätzlich zur Rückentasche kann vor der Brust eine kleinere Tasche ins Tragesystem eingeklickt werden. So splittet sich der Stauraum: Zwei Drittel der Last schultert die Rückenmuskulatur, das Gegengewicht an der Körpervorderseite hält die Wirbelsäule gerade. Das Tragen der Frontbag beugt dadurch Fehlbelastungen und Fehlhaltungen vor - Ursache vieler Rückenprobleme im Erwachsenenalter.

Geboren wurde die Idee schon vor zwölf Jahren. Gianluca Siciliano war damals Schüler an der berufsbildenden Schule Andreas Albert in Frankenthal und nahm mit seiner Klasse am Wettbewerb „Jugend gründet" teil. ,,Ey, ich hatte erstmal gar keine Lust auf das Projekt“, erinnert er sich lachend, doch der Gedanke an den gerade eingeschulten Neffen, der sich täglich mit dem schweren Ranzen abmühte, zündete einen Geistesblitz. Zusammen mit einigen Mitschülern schrieb er das Konzept für Frontbag. Die Idee gewann den Preis für den besten Businessplan aus Rheinland-Pfalz - und verschwand in der Schublade.

Siciliano schloss derweil seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann ab und absolvierte ein duales Studium: Management und Consulting mit der Fachrichtung Logistik bei Deichmann. Als die Einschulung des eigenen Sohnes näher rückte, stellte er fest: „Die Standard-Schulranzen sind immer noch genauso gesundheitsschädlich wie 2010." Er erinnerte sich an den Businessplan und legte los: In Laura Agustina Beltran fand er eine versierte Kinder-Osteopathin und Physiotherapeutin, die Frontbag zu gesundheitlichen und medizinischen Aspekten berät. Prof. Dr. Andreas Birk, Sicilianos Dozent an der Hochschule Ludwigshafen und Wirtschaftsprüfer mit eigener Kanzlei in Speyer, begutachtete das Konzept und bestärkte ihn, die Idee weiterzuverfolgen, denn er erkannte weitere Marktchancen des Produkts - der Mann ist passionierter Wanderer, und auch für die hat ein zweigeteilter Rucksack viele Vorteile: Schutz der Lendenwirbel, Entlastung der Muskulatur, bessere Balance im steilen Gelände. Außerdem sind die Sachen in der Fronttasche greifbar, ohne dass der Rucksack abgesetzt werden muss.

Weitere, ganz praktische Unterstützung erhielt der Bobenheim-Roxheimer aus Mannheim. Nico Hoffmeister, Community-Manager bei NEXT MANNHEIM und bestens vernetzt in der Mode- und Textilbranche, beriet und stellte Kontakte her - unter anderem zu Beck & Becker. Das 2019 gegründete Creative Patternmaking Studio von Kirsten Beck und Katrin Becker ist in der Textilerei, einem der acht Gründungszentren von NEXT MANNHEIM, ansässig. Die beiden Maßschneiderinnen und Entwurfsdirektricen, Spezialistinnen für CAD-Schnittkonstruktion und zuvor 15 Jahre lang Modellschnittmacherinnen beim Mannheimer Label Dorothee Schumacher, entwickelten und fertigten die ersten drei Prototypen, die Siciliano dann im Alltag auf Funktion und Tragekomfort testen und immer wieder verbessern ließ.

Anfang des Jahres waren das Unternehmen Frontbag gegründet, das Patent eingetragen und der Markenname geschützt. Die Produktion konnte beginnen. Extrem leichte Materialien und der Verzicht auf Hartplastik führen dazu, dass Frontbag mit 750 Gramm der leichteste Schulranzen auf dem Markt ist. Trotzdem erfüllt er höchste Qualitätsansprüche und hat alles, was gut für Gesundheit und Sicherheit ist: Die Polsterung am Rücken ist weich und atmungsaktiv, der Hüftgurt lässt sich an die Größe des Kindes anpassen. Die Hülle aus mehrschichtigem Polyester ist stabil und wasserabweisend, Reflektoren lassen sie bei Dunkelheit und Regen strahlen. Innenfächer sorgen für Ordnung und ein Feder- sowie ein Schlampermäppchen werden mitgeliefert. Umfangreiche Marktforschungen führten zu den ersten zwei Designs, die im Frühjahr auf den Markt kamen: ,,Camoublue", ein Unisex-Modell in Blautönen für Mädchen und Jungen sowie ,,Sweet Unicorn", ein pinkfarbener Rucksack mit Einhörnern drauf. ,,Mädchen stehen total auf dieses Design", begründet Gianluca Siciliano und klingt fast entschuldigend. In nächster Zukunft sollen weitere Muster hinzukommen, perspektivisch will er das Portfolio von Frontbag ausweiten auf andere Arten von Taschen: Wander-, Sport- und Fashionrucksäcke auch für Erwachsene sowie ein Modell für junge Eltern, bei dem das Baby vorn und die Wickeltasche auf dem Rücken getragen wird.

Das Feedback empfindet der Gründer als ausgesprochen positiv. Chefkritiker ist der eigene Sohn. ,,Emilio ist acht und trägt den Camoublue sehr gern“, erzählt Siciliano, ,,allerdings ist er sehr modebewusst. Wenn Blau nicht zu seinem Outfit passt, nimmt er auch mal einen schwarzen Rucksack mit in die Schule." Schon allein deshalb müssten weitere Modelle her. Rückmeldungen von Eltern zeigten, dass Kinder, die mit dem Frontbag-Ranzen in die Schule gehen, tatsächlich weniger über schwere Lasten und Schmerzen in Rücken und Schulter klagten, berichtet er. Auch auf Fachmessen erhielt seine Idee großes Lob - von renommierten Herstellern und Vertriebsexperten. „Das Prinzip ist ja eigentlich ganz simpel - keine Ahnung, warum da niemand früher draufgekommen ist", staunt er. Mittlerweile ist Frontbag nicht nur im eigenen Online-Shop und bei Hometown Glory, dem Laden der Mannheimer Startup-Szene, erhältlich, sondern auch in Fachgeschäften von München bis Berlin und bei den führenden Online-Händlern.

Vom Institut für Gesundheit und Ergonomie (IGR) erhielt Frontbag die Zertifizierung als ,,ergonomisches Produkt". Und die nächste Auszeichnung wartet ebenfalls: Gianluca Siciliano ist einer von drei Preisträgern beim Gründerwettbewerb ,,Pioniergeist" der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB). Die Preisverleihung findet am 8. November in Mainz statt. UTE MAAG