Glockenbehangene Elefanten oder Pferde prägen alte Ansichten von Reitervölkern aus vorderasiatischen Steppen, es existieren aber ebenso kleine Glöckchen als Grabbeigaben der alten Ägypter - es gibt sie also schon lange vor der Christenheit: Glocken, die nun wieder die Gläubigen zu den Gottesdiensten an Advent und Weihnachten rufen. Gerade zur dunklen Jahreszeit entfaltet ihr machtvoller Klang oft einen besonderen Zauber, und ein winziges Glöckchen aus Porzellan oder Metall hat in manchen Familien immer noch die Funktion, an Heiligabend zur Bescherung zu rufen.

Denn auch wenn ihr feierlicher Klang heute in erster Linie als christliches Symbol gilt, ja als Stimme des Himmels gedeutet wird - der Ursprung liegt weit vor Christi Geburt und in einem ganz anderen Kulturkreis. „Es waren die Chinesen vor etwa 4500 Jahren“, erzählt Stefan Mayer.

Wandermönche und die Magie

Eigentlich ist er Altenheimseelsorger und tätig am Pfarramt St. Josef. „Aber schon als Ministrant und in der Pfarrjugend habe ich mich begeistert für Glocken.“ Als er dann die Chance bekam, bei einem Projekt des erzbischöflichen Glockeninspektors mitzuarbeiten, nutzte er sie, bildete sich dabei intensiv und engagiert weiter. ,,Ich wollte aber nie ganz aus der Seelsorge weg", daher wechselte er nicht hauptberuflich auf die Stelle des Glockenexperten, sondern befasst sich nur "als Hobby", wie er sagt, damit.

Laut Mayer wird der legendäre Gelbe Kaiser Huáng Dì, der von 2696 bis 2598 v. Chr. regiert haben soll, als erster Besteller von Glocken genannt. Zwölf Exemplare in zwölf verschiedenen Tönen sei seine Vorgabe gewesen, so Mayer. „Seither hat jede Dynastie Glocken gegossen", weiß der Sachverständige- und die hätten jeweils auch ganz praktische Bedeutung gehabt: „Ihr Durchmesser war im ganzen Reich das Maß für Länge, ihr Hohlraum die Maßeinheit für Reis." In Asien gilt die Glocke bis heute als Symbol der Harmonie - und wo sie erklingt, ist kein Platz für das Böse. ,,Wo Glocken sind, werden Dämonen vertrieben", verdeutlicht Stefan Mayer den asiatischen Glauben an die Kraft der Klänge. 

Dieser Gedanke setzt sich bei vielen Völkern durch. Und über Asien finden Glocken den Weg zu den ersten christlichen Gemeinschaften, von dort mit den ersten Mönchen über das Mittelmeer nach Europa. ,,Die Mitglieder der ersten monastischen Gemeinschaft auf der Insel Lérins im 5. Jahrhundert n. Chr. hatten Glocken", so Mayer.

Die wiederum brachten das Christentum nach Irland, Schottland und England. „Sie haben erstunblutig - Irland missioniert, sind dann als Wandermönche in Europa weitergezogen und hatten stets Glocken als Erkennungszeichen des neuen Glaubens dabei", so Mayer: „Das hat auf die damals heidnischen Germanen faszinierend gewirkt, sie magisch angezogen", erläutert er.

„Man muss sich das von der Größe her eher wie eine Kuhglocke vorstellen", sagt Mayer. Am Rande des Murnauer Mooses in Oberbayern sei erst vor einigen Jahren solch eine frühe Glocke aus dem 7. oder 8. Jahrhundert entdeckt worden.

Bereits der Klostergründer Benedikt von Nursia rief seine Mönche mit einer Glocke zum Gebet. Mit den Jahren, ja Jahrhunderten, seien die Glocken größer geworden, ihr Läuten gab erst den Mönchen den Rhythmus von Gebet und Arbeit vor, dann den Bauern auf dem Feld und bald der ganzen Bevölkerung. Schon Papst Sebastian formulierte um das Jahr 604: ,,Mit abendlichem Läuten sei an das Leiden und Sterben Jesu zu erinnern, ein Morgenläuten an die Auferstehung Jesu".

Insgesamt 253 - so viele Glocken gab es Ende 2020 laut Stefan Mayer in den evangelischen und katholischen Kirchen Mannheims. ,,Oft erklingen heute noch historische Glocken, die haben in früheren Krisenzeiten wie Seuchen und Kriegen schon unsere Vorfahren begleitet", so der Glockensachverständige des Katholischen Stadtdekanats. „So wie damals aus ihrem Klang Hoffnung und Zuversicht tönte, so tönen die Glocken auch uns heute: Friede und Hoffnung und Zuversicht", deutet der Pastoralreferent die festlich-mächtige Klangfülle.

Mannheims jüngste Glocke ist gerade mal ein Jahr alt. Sie hängt in der evangelischen Petruskirche in Wallstadt. Auslöser des Wunschs nach einer neuen Glocke dort war, dass der Glockenstuhl des teils auf das 17., teils auf das 18. Jahrhundert zurückgehenden Kirchturms schon lange altersschwach war. Seit 2019 durfte die mit 680 Kilogramm schwerste und tiefste Glocke, die Sterbeglocke, gar nicht mehr geläutet werden, und auch die beiden verbleibenden Glocken - eine stammt von 1980, eine sogar noch von 1791 sind seltener zu hören gewesen. Mit der Sanierung des hölzernen Turmgestühls nutzte die Kirche die Chance, dass das Geläut wieder vielstimmig erklingen soll. Viele Mitglieder der Gemeinde halfen mit Spenden. Die neue, vierte Glocke ist 220 Kilogramm schwer und trägt die Inschrift „Lasst die Kinder zu mir kommen; denn ihnen gehört das Himmelreich" (Matthäus 19,14). Damit wolle die Gemeinde ,,zeigen, dass wir eine kinder- und familienfreundliche Gemeinde sind“, so die Pfarrerin Anna Maria Baltes.

Beim Guss der Glocke durften Vertreter der Gemeinde dabei sein - ein besonderer, seltener Moment in der Glockengießerei Bachert in Neunkirchen (Neckar-Odenwald-Kreis). Eine heiße, helle Flamme schoss da aus einem gemauerten, mit Stahl ummantelten Kessel hinaus, bis direkt unter den Rauchabzug. Ohne diese Flamme könnte man meinen, es wäre ein riesiger Wasserkessel, aberwas da brodelte, das war heißes, glühendes Metall, ,,Glockenspeise" genannt. Stets zur Todesstunde Jesu, freitags um 15 Uhr, und nach einem Gebet fließt dann das glühende Metall in den gemauerten Gusskanal. Wie Lava ergießt sich die Glockenbronze aus dem Ofen. Funken sprühen, Flammen züngeln empor, beißender Rauch steigt auf. Der feurige Strom wird in die in einem Sandhügel eingegrabene, von außen unsichtbare Form geleitet. Da muss man an Schillers Gedicht „Die Glocke" denken: ,,Festgemauert in der Erden. . ." Am Ende, nach erfolgreichem Guss, wird das Vaterunser gesprochen.

Import aus Friesland

Alte Glocke mit neuer Verwendung: die Buga-Glocke BILD: CHRISTOPH BLÜTHNER stammt von 1755.
Alte Glocke mit neuer Verwendung: die Buga-Glocke BILD: CHRISTOPH BLÜTHNER stammt von 1755.

Bald steht wieder ein Glockenguss - eigentlich ein seltenes Ereignis - für Mannheim an. Der Förderverein Magdalenenkapelle Straßenheim hat genügend Spenden gesammelt, damit für den auf das Jahr 1408 zurückgehenden Sakralbau eine neue, dann wieder zweite Glocke geschaffen werden kann. 


Die älteste Glocke in Mannheim - Gussjahr 1521 in Biberach - hängt laut Stefan Mayer in Neuhermsheim auf der evangelischen Kirche. Sie ist aber keine ursprüngliche Mannheimerin, sondern eine „Irrläuferin". Sie hing bis zum Zweiten Weltkrieg auf dem Rathaus von Lottstetten (Kreis Waldshut), wurde 1942 dort requiriert und bei der Rückführung nach dem Krieg fälschlicherweise nach Mannheim gebracht. Die Zweitälteste ist die sogenannte Wallonenglocke auf der Konkordienkirche. Sie wurde 1663 ursprünglich für die Kirche in Berltsum im friesischen Marschland gegossen. Da sie für deren Kirchenneubau 1777 zu groß war, wurde sie 1798 versteigert und kam 1803 nach Mannheim.

Historische Glocke für die Buga

Die älteste originäre Mannheimer Glocke ist die 1709 in Mainz gegossene Glocke auf St. Sebastian in F 1. Ursprünglich handelt es sich um die weltliche Rathausglocke, aber sie ist ins Kirchengeläute integriert. Die weiteren Glocken von St. Sebastian stammen von 1720, 1747 und 1760. Die Jesuitenkirche verfügt, auf zwei Türme verteilt, über ein imposantes achtstimmiges Geläut und hat mit der Michaelsglocke auch die tontiefste Glocke mit Schlagton. Mit 13 460 Kilo ist es auch eines der schwersten Geläute. Aber die schwerste Glocke Mannheims hängt auf der Christuskirche: Die ursprünglich 1909 von Julia Lanz gestiftete gestiftete Christusglocke, 5820 Kilo schwer, wurde 1956 in Karlsruhe neu gegossen. 

Von den 1755 ehemals sechs von Kurfürst Carl Theodor gestifteten Barockglocken für die Jesuitenkirche sind einige gesprungen oder im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Nur zwei existieren noch. Von ihnen ist derzeit nur die große es'-Glocke in das Geläut integriert. Die kleine Borromäus-Glocke war lange neben der Sakristei in ehemaligen Kreuzkapelle aufgestellt. Mozart hat ihren Klang gehört, sie hat unzählige Kriege überstanden und war seit fast 70 Jahren verstummt: die Glocke, benannt nach dem Namenspatron des Kurfürsten. Seit Oktober hat sie eine neue Funktion bekommen - als Glocke der Kirche auf dem Spinelli-Gelände der Bundesgartenschau 2023 ist sie erneut und nun ökumenisch geweiht worden. Peter W. Ragge