Besinnlich? Romantisch? Die Anfänge des Mannheimer Weihnachtsmarktes sehen ganz anders aus – und liegen ziemlich im Dunklen. Aber klar ist, dass es erste Vorläufer bereits zu einer Zeit gibt, als noch Kurfürst Carl Theodor – wenn auch seit 1778 von München aus – die Kurpfalz regiert.An seine Regierung wendet sich Mitte November 1791 die Mannheimer Polizeidirektion mit einem umfangreichen Antrag. Man wolle „aller unordnung und schwärmerei“ Abhilfe schaffen, die inzwischen beim „hiesigen Christkindels-Markt“ eingerissen sei.Auf solch ein Dokument ist Hiram Kümper im Generallandesarchiv gestoßen, an der Universität Mannheim Inhaber des Lehrstuhls für die Geschichte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. Danach wird bereits im Mai 1791 eine Kommission eingesetzt, die mehrere Vorschläge ausarbeitet – etwa zeitliche Beschränkungen, um dem „ungestümen Lerm und andern Übelthaten“ Einhalt zu gebieten. Zumindest ist die Stadt damals der Ansicht, die städtische „Policey-Patrouille“ könne diese Beschränkungen besser durchsetzen, wenn sie „in ordentlicher bewaffnung“ aufmarschieren würde. Und man sollte nicht nur mit „sperrung der kramleden“, sondern im Zweifel auch mit „bestrafung und arretirung der widersezlichen“ reagieren, fordert sie in dem überlieferten Antrag.Da in der alten Akte von „gewonlichen“ Problemen geredet werde, müsse der Markt schon vor 1791 bestanden haben. Genau weiß man es nicht. „Wir haben da viele Lücken in der Überlieferung“, begründet dies Jasmin Breit von der Zeitgeschichtlichen Sammlung im Marchivum.    

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Und das ist keine Besonderheit von Mannheim. „Zur Geschichte der Weihnachtsmärkte insgesamt gibt es erstaunlicherweise noch keine historischen Arbeiten – nur hier und da Einzelstudien zu Nürnberg oder Dresden“, hat Hiram Kümper festgestellt. Die frühesten derartigen Märkte seien in Deutschland aber bereits im 14. Jahrhundert belegt, München etwa schon 1310.

„Das wesentliche Charakteristikum ist, dass ein Anfangstag oft noch im November, etwa Martini, genannt wird und der Markt bis Weihnachten durchgängig gestattet wird“, so der Professor. Das sei gegenüber den sonst auf wenige Tage beschränkten Jahrmärkten des Mittelalters eine lange Spanne. Meist seien es Handwerker- und Viktualienmärkte. In Augsburg heißt er im 15. Jahrhundert „Lebzeltermarkt“, nimmt also auf Lebkuchen Bezug.

Der älteste Beleg im Marchivum stammt von 1868. Da meldet der „Generalanzeiger“ am 12. Dezember dass tags zuvor die „Weihnachtsmesse“ ihren Betrieb aufgenommen hat. Damit beginne „der Haupteinkauf von Weihnachtsgeschenken in der Stadt“, schreibt das Blatt. Die Messe sei „gut beschickt und die Auswahl an Kinderspielsachen eine besonders reiche“, heißt es in der Zeitungsnotiz. Auch die Geschäfte hätten „viele hübsche Sachen, die wohl jedes Kinderherz erfreuen“. Aber im gleichen Text wird zugegeben: „Leider ist es nicht allen Eltern möglich, ihren Kindern all die Herrlichkeiten zu beschaffen“. Ein Christbaum werde indes nur in wenigen Familien fehlen – und dieser Satz ist zugleich die einzige Ortsangabe. Da heißt es nämlich, dass der „hintere Teil des Paradeplatzes einem dichten Tannenwald gleicht“ – also da werden die Bäume verkauft.

1887 lässt sich aus einer Amtlichen Bekanntmachung schließen, dass der Weihnachtsmarkt am 11. Dezember beginnt und am Abend des zweiten Weihnachtsfeiertages endet – damals also auch an Feiertagen Geschäfte gemacht werden. Die Zuteilung der Verkaufsbuden erfolgt mittels öffentlicher Versteigerung am 26. November; mit weit weniger Vorbereitungszeit als heute.

Allerdings scheint der Markt 1868, für den es diese erste Zeitungsnotiz gibt, nicht der erste gewesen zu sein. Das schließt Breit aus einem Bericht im „Generalanzeiger“ 1908. Da schreibt ein, wie es heißt, „alter Mannheimer“ von seinen Kindheitserinnerungen („fünfzig Jahre zurück“) an den Christkindelsmarkt, aufgebaut „längs“ der Quadrate G 2 und H 1. „Fast ausschließlich Mannheimer Geschäftsleute“ hätten ihn beschickt, und aufgezählt werden Namen, die man heute noch kennt – etwa die Konditorei Herrdegen.

Ende der 1860er Jahre, so heißt es da auch, seien die Verkaufsbuden in die Planken und auf den Paradeplatz verlegt worden. Mit dem enormen Wachstum der Stadt und dem Umbau der Planken zur Hauptverkehrsstraße muss der Markt auf den Zeughausplatz umziehen, „wo er seit zehn Jahren nicht leben und nicht sterben kann“, wie in dem Text von 1908 steht.

Begründet wird dies damit, dass ihm in den Warenhäusern eine „mächtige Konkurrenz“ entstanden sei. Der Autor äußert pessimistisch, dass „bald nur noch die Christbaumverkäufer“ an den alten Christkindelsmarkt erinnern. So weit kommt es nicht – das steht trotz lückenhafter Überlieferungen fest. Nach dem Ersten Weltkrieg wird die „Christkindelmess“ auf den Alten Meßplatz verlegt. „Sie kam aber nicht mehr so richtig in Gang und verschwand schließlich ganz“, weiß Walter Schmich von der Mannheimer Weihnachtsmarkt-Gesellschaft, der die Historie des 20. Jahrhunderts etwas erforscht hat.

In den 1930er Jahren gibt es eine Weihnachtsmesse in den Rhein-Neckar-Hallen an der Autobahneinfahrt (heute Standort Technoseum). Nach dem Zweiten Weltkrieg, 1948 bis 1950, wird der Rosengarten Schauplatz einer „Weihnachtsmesse“ – in erster Linie für Einzelhändler. „Die Renaissance des Weihnachtsmarkts soll nun den Charakter der Stadt Mannheim als Einkaufsstadt betonen“, so Schmich.

Richtig voran geht es nach dem Beschluss des Mannheimer Hauptausschusses vom 8. Mai 1972. Da geben die Stadträte den Paradeplatz für den Weihnachtsmarkt frei und beauftragen die als Maimarkt-Ausrichter bekannte Mannheimer Ausstellungsgesellschaft der Familie Langer. Im September 1972 zeigt der Maimarkt- und nun auch Weihnachtsmarkt-Chef Kurt Langer Vertretern des Stadtplanungsamts den Prototyp der hübschen hölzernen Verkaufshütten, die er eigens hat im Schwarzwald anfertigen lassen.

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Christbaummarkt auf dem Alten Meßplatz in Mannheim, vermutlich 1960er oder 1970er Jahre. BILD: MARCHIVUM

Wichtig ist der Stadt, dass nicht nur verkauft, sondern auch ein Kulturprogramm geboten wird. Dafür sorgen das Polizeimusikkorps, die US-Army-Band und Bläser des Philharmonischen Orchesters der Pfalz. Nachdem drei Viertel der Aussteller sich zufrieden äußern, ist der Grundstein für eine Tradition gelegt. Die einheitlichen Holzhütten werden sogar von Karlsruhe, Frankenthal, Freiburg und Stuttgart nachgeahmt. Zwischen „Engelsgasse“ und „Nikolausstraße“ finden erst 100, später 112 und dann sogar 200 der rustikalen und hübsch dekorierten Holzhütten Platz.

Als 1977 unter dem Marktplatz G 1 eine Tiefgarage gebaut werden soll und der Wochenmarkt daher auf den Paradeplatz umziehen muss, wird der Weihnachtsmarkt ab 1978 auf den Friedrichsplatz am Wasserturm verlegt. Das ist anfangs heftig umstritten und nur als Provisorium gedacht – aber auch längst Geschichte, denn inzwischen sind sich alle einig, dass es keinen schöneren Platz und keine bessere Atmosphäre geben könne als inmitten eines der größten Jugendstil-Ensembles in Europa.
   

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Nach dem die Tiefgarage gebaut ist und die Markthändler nach G 1 zurückkehren, bleibt der Weihnachtsmarkt am Wasserturm. Passend zum neuen Ambiente entwirft die Mannheimer Künstlerin Anita Büscher ein Plakat. Das Motiv ziert seither alle Schriftstücke, die mit dem Weihnachtsmarkt am Wasserturm in Verbindung stehen.

Die Besucher kommen aus einem Umkreis von 150 Kilometern. Zahlreiche Busunternehmen reisen aus anderen Bundesländern, aus Österreich, Italien, Ungarn, der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich und sogar aus England an. Und immer wieder gibt es Neuerungen – etwa seit 1987 auf Initiative der Landfrauen der Sonderstand „Informieren und Helfen“, wo Ehrenamtliche im täglichen Wechsel Bastel- und Handarbeiten, Marmeladen und Weihnachtsgebäck zugunsten sozialer Projekte verkaufen. Seit 2012 steht die 18 Meter hohe Weihnachtspyramide, wo auf zwei Ebenen Speisen und Getränke angeboten werden, am Friedrichsplatz.

Schließlich ist der Weihnachtsmarkt am Wahrzeichen nicht mehr allein. 1990 entsteht durch das Modehaus Engelhorn auf den Kapuzinerplanken eine zweite derartige Veranstaltung – „Der besondere Weihnachtsmarkt“ genannt. Mit 80 Ausstellern ist er kleiner, feiner. In weißen Zelten und Pavillons findet man originelle Geschenkideen insbesondere aus dem Bereich Handwerk und Kunsthandwerk, dazu ein hochwertiges kulinarisches Angebot. Seit 2003 wird der Markt von der städtischen Großmarkt-Gesellschaft, heute die Event & Promotion Mannheim GmbH, übernommen und ausgerichtet.

2012 ist dann die Tochter von Schausteller Markus Rick die Ideengeberin für ein ganz neues weihnachtliches Angebot in Mannheim. Sie wünscht sich ein märchenhaftes Winter-Wunderland. Rick, seine Frau Dajana und seine Schwester Melanie Rick-Schmidt sowie deren Mann Thomas Schmidt kreieren auf dem effektvoll-romantisch beleuchteten, mit über 100 echten Tannen versehenen Paradeplatz den Märchenwald. In der hektischen Vorweihnachtszeit entsteht mitten in Mannheim eine kleine Oase der – wie man ja neuerdings sagt – „Entschleunigung“. An mit viel Liebe zum Detail gestalteten Hütten kann man einfach mal Pause machen und den Geschichten der Gebrüder Grimm und anderen Märchen lauschen. Peter W. Ragge