Bei Kontaktlinsen denkt man wohl zuerst an Sehhilfen. Dabei gibt es auch Kontaktlinsen, die im Ohr getragen werden – und dabei helfen, besser zu hören. Das Mannheimer Startup Vibrosonic hat damit eine besondere Hörhilfe entwickelt. „Unser Unternehmen hat seinen Ursprung in einer Forschungskooperation zwischen der Universität Tübingen und dem Frauenhofer IPA in Stuttgart.“, erzählt Regine Heitlinger, die bei Vibrosonic für Marketing, Vertrieb und Kommunikation zuständig ist. Die Forschungsgruppe, bestehend aus Dominik Kaltenbacher, Jonathan Schächtele und Ernst Dalhoff, wollte ursprünglich ein Implantat für hochgradig Schwerhörige entwickeln. Im Laufe dieser Forschungsarbeiten hatte das Trio jedoch erkannt, dass sich die Hörkontaktlinse® auch als Hörgerätelautsprecher eignet. Die Forschungsgruppe wurde später ausgegründet und die Vibrosonic GmbH 2016 auf die Beine gestellt. Inzwischen hat die Firma rund 35 Mitarbeiter. Das erste Hörgerätesystem Vibrosonic alpha wurde im Mai zugelassen. Seit Oktober laufen klinische Studien, so dass die Hörkontaktlinse im kommenden Jahr auf den Markt kommen kann. Die Hörkontaktlinse ist unsere Kerntechnologie“, sagt Heitlinger. Wie auf dem Auge haften die Kontaktlinsen durch Adhäsionskräfte. Bei Vibrosonic alpha sitzt der Lautsprecher direkt auf dem Trommelfell, die Elektronik wird angestöpselt und sitzt hinter dem Ohr – wie bei anderen Hörgeräten.Der Clou ist jedoch die neue Technologie, die verschiedene Vorteile mit sich bringt. „Das Frequenzspektrum ist sehr viel größer als bei herkömmlichen Hörgeräten“, erklärt Heitlinger. „Man kann tiefe Töne viel besser abbilden, was zum Beispiel fürs Musikhören oder beim eigenen Musizieren wichtig ist“, sagt Heitlinger. „Beim Sprachverstehen kommt es dagegen eher auf die hohen Töne an.“ Auch diese Frequenzen können auf diese Weise besser aufgenommen werden. „Das Hörerlebnis ist ein viel satteres mit einer Hörkontaktlinse.“ Da der Gehörlautsprecher direkt auf dem Trommelfell sitzt, entstehen weniger Rückkopplungen und Verzerrungen als bei gewöhnlichen Hörgeräten, wo ein Hohlraum zwischen Lautsprecher und Trommelfell entsteht. Vibrosonic alpha ist für leichte bis mittelgradige Schwerhörigkeit empfohlen.Ein geschulter Hals-Nasen-Ohrenarzt kontrolliert im Vorfeld, ob die Hörkontaktlinse für den Patient geeignet ist. Dann setzt er die Hörkontaktlinse innerhalb weniger Minuten ein.Damit es für den empfindlichen Gehörgang nicht unangenehm ist, bekommt der Patient eine äußerliche Lokalanästhesie. Erste Versuche haben gezeigt, dass die Kontaktlinse auf dem Trommelfell problemlos lange getragen werden kann. Dennoch muss bei den klinischen Studien auch auf den Einzelfall geachtet werden. „Jedes Trommelfell ist unterschiedlich und damit das Trageverhalten“, sagt Heitlinger. Der Hersteller empfiehlt dem Nutzer zumindest am Anfang vierteljährlich ärztliche Kontrollen wahrzunehmen. Mit den Linsen ist Tanzen, im Flugzeug fliegen und Duschen kein Problem. Das Premiumprodukt soll über mehrere Jahre getragen werden können. Das Start-up gibt sich mit Vibrosonic alpha jedoch noch nicht zufrieden. Das Produkt soll weiter entwickelt werden – mit dem erklärten Ziel, ein unsichtbares Hörsystem zu konstruieren. „In Zukunft ist es so, dass die Elektronik, die noch sichtbar hinter dem Ohr ist, so klein gebaut wird, dass sie in einem Modul im Gehörgang verschwindet.“ Vorher müssen allerdings noch einige Herausforderungen gemeistert werden, etwa die Miniaturisierung der Elektronik auf Gehörgangsgröße. „Es wird sicher noch ein paar Jahre dauern, bis wir über die unsichtbare Lösung sprechen können“, sagt Heitlinger. Eines steht aber fest: „Alles, was wir künftig entwickeln werden, wird immer auf Basis der Hörkontaktlinse entstehen.“ TATJANA CAPUANA-PARISI