Der Blutzucker wird in Krankenhäusern gemessen, um den allgemeinen Gesundheitszustand von Patienten näher zu bestimmen und zu überwachen. Doch vor der Zulassung des Tests musste das Entwicklungsteam von Roche nachweisen, dass dieser auch in hochgelegenen Krankenhäusern funktioniert. „Schnelltests enthalten Bestandteile wie zum Beispiel verschiedene Enzyme, die in ihrer Funktion vom Sauerstoffgehalt in der Luft beeinflusst werden können“, erklärt Zekiye Öztürk. „Je höher ein Krankenhaus liegt, desto niedriger ist der Sauerstoffgehalt in der Umgebung“, ergänzt die 30-Jährige. Gäbe es etwa einen Rettungseinsatz in den Bergen, müsste trotzdem gewährleistet sein, dass der Test korrekt funktioniert. „Wir haben unseren Test so konzipiert, dass er keine Abhängigkeiten hat. Das muss man für die Zulassungsbehörden weltweit nachweisen.“

"Es lohnt sich definitiv mit Kollegen aus anderen Arbeitsbereichen im Austausch zu bleiben, um andere Blickwinkel zu bekommen. Und auf kreative und ungewöhnliche Ideen auch einzugehen. Nur dadurch konnte der Test am Ende so erfolgreich ausgeführt werden."

ZEKIYE ÖZTÜRK, ROCHE DIAGNOSTIIGS

Vor Corona hätte das Team um Öztürk diesen Nachweis in einer Unterdruckkammer geführt. „In diesen Kammern wird der Zustand von hohen Höhen simuliert“, erklärt die Ingenieurin. „Jetzt war es so, dass wir aufgrund des Lockdowns mit Kontaktbeschränkungen keine Kammer buchen konnten. An dieser Stelle mussten wir kreativ werden.“ Und der Zufall hat etwas nachgeholfen. „Ein Kollege außerhalb unserer Gruppe hatte die Frage gestellt, wieso wir nicht auf die Höhe fliegen, wenn wir schon keine Kammer für die Simulation nutzen können“, berichtet Öztürk. „Das klang für uns erst wie ein Witz.“ Doch der vermeintliche Scherz brachte ihre Gruppe dazu, sich mit dem Vorschlag näher zu beschäftigen. Und er entpuppte sich schließlich als beste Lösung. Um die Rahmenbedingungen für eine Testung in einer Höhe von rund 4300 Metern zu messen, durften zwei Teammitglieder sogar buchstäblich abheben. Öztürk organisierte das Projekt schließlich von der Idee bis zur Ausführung. „Wir mussten einen Hubschrauberanbieter finden, bei dem wir uns sicher fühlen konnten. Wir sind sehr dankbar, dass uns die deutsche Luftrettung den Tipp gegeben hat, in der Schweiz nachzufragen.“ Die Schweizerische Rettungswacht „Rega“ habe die Entwickler bei der Umsetzung ihres Vorhabens schließlich gerne unterstützt, erzählt die Wahl-Mannheimerin, die Biomedizinische Technik studiert hat.

Insgesamt neun Monate hatten die Vorbereitung für die Testphase in Anspruch genommen, allein ein halbes Jahr ging es um die Planung rund um den Hubschraubertest. Denn die Rahmenbedingungen im Hubschrauber sind natürlich anders als in einer Kammer oder im Labor. „Der Raum und die Bewegungsfreiheit sind begrenzt, es gibt auch keine Tische“, erklärt Öztürk: „Wir mussten uns sehr intensiv Gedanken machen, wie wir uns aufstellen und unseren Messplatz in dem Hubschrauber herrichten. Die Vorbereitungen waren sehr aufwändig, da alle möglichen Szenarien berücksichtigt werden mussten.“ Wenn am Boden etwas Unerwartetes passiert, könne man den Versuch kurz abbrechen, den Raum verlassen und mit Kollegen Rücksprache halten. „In der Luft ist das nicht so einfach. Wir wussten nicht, wie die Kommunikation aus dem Hubschrauber zum Boden wird. Doch alle waren sehr motiviert.“

Unter ihren neun Gruppenmitgliedern hatten sich ausreichend Freiwillige gefunden – obwohl keiner von ihnen vorher in einem Helikopter geflogen war. „Wir hatten dann die routiniertesten Mitarbeiterinnen ausgesucht, die sich im Vorfeld einem intensiven Gesundheitscheck unterziehen mussten. Zekiye Öztürk selbst blieb am Boden. „Es war auch so aufregend genug.“

Das Experiment fand schließlich am 15. Juni statt. Die Gruppe traf sich dafür am Mannheimer Flughafen. „Es war ein sonniger Tag“, erinnert sich die Organisatorin. „Von dort aus begann der Steigflug.“ Mit an Bord: Drei verschiedene Blutproben mit unterschiedlichen Blutzuckermesswerten. Alle drei Proben wurden vor dem Abflug aufgeteilt, so dass die gleiche Menge an Humanmaterial zeitgleich auch im Labor auf dem Roche-Campus gemessen werden konnte. „Zeitgleich wurden dieselben Messungen bei uns im Labor in normaler Höhe ausgeführt.“ Der rote Lebenssaft stammt aus einer internen Blutbank am Standort Mannheim, für das Roche-Mitarbeiter freiwillig Ader lassen, um die Forschung zu unterstützen. Zur Freude Öztürk und ihrem Entwicklungsteam: „Das macht uns auch arbeitsfähig.“

Der gesamte Flug dauerte rund 50 Minuten. 30 Minuten davon war der Hubschrauber in der Zielhöhe von rund 4300 Metern, was der Höhe des Matterhorns entspricht. In dieser Zeit waren die Teammitglieder in der Luft dabei, aktiv zu messen. Die Piloten flogen während des Projekts nach Karlsruhe, drehten dort eine kleine Runde und kehrten wieder zurück.

Das Ergebnis des ungewöhnlichen Experiments ist übrigens wie erwartet ausgefallen. „Wir haben mit unserem Hubschrauberversuch bewiesen, dass unser System auch in hohen Höhen fehlerfrei misst.“ Geholfen habe, dass die Gruppe einen direkten Probenvergleich im Labor zu den Ergebnissen über den Wolken hatte. „Und der Flug war nicht so teuer wie erwartet, der Aufwand schließlich mit der Anmietung einer Unterdruckkammer preislich vergleichbar.“ Sie fügt lächelnd hinzu: „Wir waren kreativer, aber nicht teurer.“ Auch auf zwischenmenschlicher Ebene hat das Team wichtige Erfahrungen gesammelt. „Es lohnt sich definitiv mit Kollegen aus anderen Arbeitsbereichen im Austausch zu bleiben, um andere Blickwinkel zu bekommen“, sagt sie. „Und auf kreative und ungewöhnliche Ideen auch einzugehen. Nur dadurch konnte der Test am Ende so erfolgreich ausgeführt werden.“ TATJANA CAPUANA-PARIS