Das Leben von Künstlern und Kreativen ist häufig mit Unsicherheiten und Unplanbarem verbunden. Das wirkt sich auf die Denkweise der Kreativen aus. „Wir glauben, dass Künstler anders denken als ein Kaufmann oder ein Ingenieur“, sagt Matthias Rauch, Leiter des Bereichs Kulturelle Stadtentwicklung und Kultur- und Kreativwirtschaft bei Next Mannheim, der Dachgesellschaft der Gründerzentren und 100-prozentigen Tochter der Innovationsstadt Mannheim.„Wir haben festgestellt, dass vermeintliche Probleme von Künstlern häufig anders gesehen werden und sie diese als Chance interpretieren.“ Der Künstler gehe mit einer gewissen Haltung Arbeitsprozesse ein, ohne zu wissen, was am Ende ganz konkret dabei rauskommt. Das liegt in den Augen von Rauch nicht zuletzt daran, dass sie regelmäßig mit offenen Prozessen zu tun haben. Und genau davon können Unternehmen profitieren. Denn die Tatsache, Probleme aus anderen Perspektiven zu betrachten, macht Künstler zu wertvollen Mentoren im Rahmen des von Next Mannheim augesetzten Creative Residency-Programms.

In zwei Phasen haben Künstler und Kreative in einem Zeitraum über jeweils fünf Wochen als Mentoren Startups beraten. „Dabei wurden bei Startups blinde Flecken aufgedeckt“, erklärt Rauch. Gleichzeitig hat ein „Transfer der Haltung“ stattgefunden, wie er es nennt. Geplant ist, dass künftig vor allem größere Unternehmen von dem Künstler-Mentorenprogramm profitieren sollen. Diese haben im Gegensatz zu Startups auch die finanziellen Mittel, um den wertvollen Input der Kreativen angemessen zu entlohnen. „Wir sind aktuell im Gespräch mit Firmen in der Region aus unserem Netzwerk, um längerfristige Residencies anzubieten“, gibt Rauch die Marschrichtung vor.

Und das ist der künftige Plan: Die Kreativen aus Branchen wie Film, Musik, Design oder Kunst sollen für drei Monate oder mehr im Unternehmen arbeiten und aus einer fachfremden Perspektive ihre Einschätzungen in die Projekte einbringen. Wichtig ist Rauch, dass es nicht darum gehe, einen Clown mit bunten Haaren am Klavier einzuladen, der zur Mittagspause spielt. „Uns interessiert insbesondere die Denk- und Arbeitsweise der Künstler“, sagt der promovierte Amerikanist. „Die Corona-Pandemie ist eine der besten Beispiele dafür, dass man nicht mehr fünf bis zehn Jahre im Voraus planen kann und vieles ganz anders kommt als gedacht“, erklärt der 43-Jährige. „Ich muss als Unternehmen aber trotzdem Entscheidungen treffen. Da sind Künstler in einem gewissen Vorteil, da sie sich bei der Schaffung von Kunst per se in offenen Prozessen bewegen“, sagt er. „Auch die Möglichkeit des Scheiterns ist immer inbegriffen.“

Der Künstler müsse von dem fremden Produkt zunächst einmal keine Ahnung haben. „Sie nähern sich einem Sachverhalt oder Objekt ganz anders als der Entwickler. Genau diese Fachfremdheit ist einer der großen Mehrwerte.“ Es müsse nur gegeben sein, dass die Kaufleute dem Künstler darlegen können, an was sie arbeiten und was ihre Herausforderungen sind. „Wenn man in seinem Projekt drin ist, sieht man die Lösungen oftmals nicht. Da braucht man die Außenperspektive.“ Der Kreative könne Dinge aufzeigen, die das Unternehmen nicht auf dem Schirm hat, weil sie für den Experten abwegig erscheinen. Grundvoraussetzung sei, dass sich beide Seiten mit einer prinzipiellen Offenheit begegnen. Außerdem sollen sich Kreative und das Unternehmen auf Augenhöhe begegnen. „Wenn beiden Sachen gegeben sind, ist das eine gute Voraussetzung, dass etwas total Spannendes entstehen kann.“ TATJANA CAPUANA-PARISI

ZUR PERSON

Creative Residency von Next Mannheim: Kein Clown mit bunten Haaren am Klavier-2
BILD: ZG

Dr. Matthias Rauch studierte Amerikanistik, Betriebswirtschaftslehre und Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Mannheim. 2007 bis 2010 war er Promotionsstipendiat im Promotionskolleg „Formations of the Global“ an der Universität Mannheim und im Jahr 2010 „Visiting Research Fellow“ an der York University, Toronto. Er hat u.a. Lehraufträge an der Universität Mannheim, der SRH Hochschule Heidelberg und der Popakademie Baden-Württemberg. Seit über 20 Jahren ist Dr. Matthias Rauch freier Autor für Print- und Online-Medien. Weitere berufliche Stationen waren zunächst die Leitung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Clustermanagement Musikwirtschaft Mannheim & Region, anschließend die Leitung des Clustermanagement Musikwirtschaft. Seit 2017 ist er Leiter der Kulturellen Stadtentwicklung Mannheim. Seit 2020 leitet Rauch den Bereichs „Kulturelle Stadtentwicklung & Kultur- und Kreativwirtschaft“ bei Next Mannheim.