Endlich Wochenende – endlich raus aus dem zeitweise einengenden Alltag, raus aus dem Rollenspiel. Samstagabends atmet Patrik Pahl durch. Dann kann der 39-jährige Visagist aus Worms einfach nur der sein, der er ist: Ein homosexueller Mann, der es genießt, sich in den Szene-Cafés von Mannheims unter Gleichgesinnten zu amüsieren. Denn die Quadratestadt steht nicht nur für das Zusammenleben in Vielfalt und eine lebendige LSBTIQ-Community – seit Juli dieses Jahres ist Mannheim auch LSBTIQ Freedom Zone und nimmt damit eine Vorreiterrolle ein.„Neben Paris und Lissabon war Mannheim eine der ersten Städte in Europa und erste Stadt in Baden-Württemberg, die sich zum Freiheitsraum für LSBTIQ Personen erklärt hat“, berichten Sören Landmann und Magret Göth, die LSBTI-Beauftragten der Stadt Mannheim, und bedauern: „Leider ist der Hintergrund für diesen Entschluss kein erfreulicher. Anlass war die zunehmend ausgrenzende und queerfeindliche Politik gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und queeren Menschen (LSBTIQ), insbesondere der Regierungen in Polen und Ungarn. Mit dem Freiheitsraum setzt der Gemeinderat Mannheim ein sichtbares Zeichen der Akzeptanz und Wertschätzung der queeren Community unserer vielfältigen Stadtgesellschaft- und gegen die ausgrenzende Politik in Polen und Ungarn.“ Ein weiterer Aspekt, eine Freizone einzurichten, ist die immer noch große Diskriminierung der LSBTIQ-Personen. „Auch wenn vieles offener und freier geworden ist, werden queere Menschen immer noch häufig diskriminiert und sind oft körperlichen und emotionalen Übergriffen ausgesetzt. Als Freedom Zone verpflichtet sich die Stadt Mannheim zu öffentlichen Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz der Rechte von LSBTIQ-Personen.“, erklärt Landmann, der schon seit über sechs Jahren für die Chancengleichheit von Menschen vielfältiger sexueller und geschlechtlicher Identitäten der Stadt Mannheim tätig ist. Unterstützt wird er dabei seit Januar 2021 von seiner Kollegin Margret Göth. Gemeinsam fungieren sie als Bindeglied zwischen Verwaltung und LSBTIQ-Community.

LSBTIQ Freedom Zone Mannheim: Bunt, queer und gewollt-2
Ansprechpartner für die Mannheimer LSBTIQ-Community: Sören Landmann und Magret Göth. BILD: SÖREN ANDMANN/STADT MANNHEIM

„Wir können nicht alle Menschen der queeren Community im direkten Kontakt unterstützen, sondern beraten und unterstützen insbesondere queere Einrichtungen und Netzwerke“, beschreibt Göth einen Teil des Tätigkeitsbereichs. Die Sichtbarmachung von Diskriminierung aufgrund von sexueller oder geschlechtlicher Identität fällt ebenfalls in diesen Bereich. Auch nach der Aufrufung zum Freiheitsraum keine einfache Aufgabe. „Wir müssen immer noch einen Großteil der Bevölkerung sensibilisieren. Bei der Umfrage „Sicher Out“ im Jahr 2018 kamen erschreckende Ergebnisse zutage“, erklärt Sören Landmann. Bei „Sicher Out“ wurden Fragen gestellt wie, wie sicher fühlen sich LSBTIQ Menschen auf der Straße, am Bahnhof oder nachts auf dem Weg nach Hause? „72 Prozent der Befragten hatten Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen in den letzten zwölf Monaten gemacht. Ein Drittel der Befragten sogar beides. Vor diesem Ergebnis begrüßen wir, dass bei der Mannheimer Sicherheitsbefragung im vergangenen Jahr erstmals Fragen zur sexuellen und geschlechtlichen Identität in den Fragebogen aufgenommen wurden“, sagen die LSBTIQ-Beauftragten. Auch hier war das Resultat besorgniserregend: Von allen Befragten, die in der Öffentlichkeit beleidigt oder bedroht wurden, gaben 30 Prozent an, das dies auf ihr äußeres Erscheinungsbild oder Auftreten zurückzuführen sei. „In den nächsten Monaten sollen daher konkrete Präventionsmaßnahmen entwickelt und umgesetzt werden“, berichtet Landmann.

Apropos Umsetzung: Vieles ist in den letzten eineinhalb Jahren wegen der Pandemie auf der Strecke geblieben. Veranstaltungen mussten abgesagt werden, Beratungen fielen aus, Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperre erschwerten das Leben vieler. Doch gerade die queere Community war besonders hart von der Pandemie betroffen. Und das erklären die LSBTI-Beauftragten so: „Viele queere Menschen sind durch die Lockdowns und die Kontaktbeschränkungen in große Einsamkeit geraten. Denn nicht alle haben einen guten Kontakt zur Familie. Sie mussten dann gezwungenermaßen den Lockdown mit Familienmitgliedern verbringen, die sie ablehnen, diskriminieren oder sie gar körperlich angingen. Queere Clubs oder Cafés waren natürlich auch geschlossen, in den Vereinen und Selbsthilfegruppen konnten keine Treffen stattfinden. Durch die Schließung dieser Orte sind wichtige Schutzräume für die LSBTIQ-Community weggefallen“, erzählt Landmann und ist froh, dass jetzt wieder vieles offen hat und vereinzelt auch wieder Veranstaltungen stattfinden konnten. Ein Höhepunkt des Jahres war der Christopher-Street-Day, der in diesem Jahr als Fahrrad-Demo durchgeführt worden war. Landmann und Göth hoffen, dass sich im nächsten Jahr die Situation wieder normalisiert und die vielen bunten Veranstaltungen, für die Mannheim bekannt ist, wieder stattfinden können.

Das nächste große Ziel der LSBTI-Beauftragung ist die Veröffentlichung eines digitalen Ratgebers. „Dort wollen wir nicht nur Veranstaltungen aufführen, sondern auch wichtige Anlaufstellen zusammenfassen“, blickt Göth voraus: „So können dann alle wichtigen Adressen auf einen Blick erfasst werden. Neben queeren Clubs, Kneipen und Cafés sollen dort auch Informationen zur queeren Geschichte Mannheims zu finden sein.“ SWENJA KNÜTTEL