Muskelkraft, Ochsengespanne, Pferde, die man nicht ohne Grund „Ackergäule“ nennt – Landwirtschaft ist lange schwere, anstrengende Handarbeit, von Tieren unterstützt. Bis zum Jahr 1900 erzeugt ein Landwirt gerade mal so viele Nahrungsmittel, um etwa vier Personen ernähren zu können – heute dagegen macht, statistisch gesehen, ein Bauer 140 Personen satt. Einen großen Anteil daran hat neben den Düngemitteln die Mechanisierung der Landwirtschaft. Und dabei spielt eine Erfindung aus Mannheim eine ganz wichtige Rolle.Zunächst sind es die Engländer, die transportable Dampfmaschinen, Lokomobile genannt, den Bauern anpreisen, damit sie deren Kraft beim Pflügen und Dreschen nutzen. Das setzt sich auch in Deutschland durch, und das will Heinrich Lanz nutzen. 1859 tritt er in die 30 Jahre zuvor von seinem Vater gegründete Spedition ein, eröffnet eine Abteilung für die Vermittlung landwirtschaftlicher Maschinen. Lanz importiert englische Maschinen und liefert sie, das ist der Clou, zum Fabrikpreis plus Verpackung, Transport und Zoll. Sein Gewinn ist zunächst nur der Rabatt, den ihm als Großabnehmer die Produzenten von der Insel einräumen. Das funktioniert zunächst gut, aber nicht lange. Als nämlich die ersten Reparaturen fällig werden und weder die Bauern noch die örtlichen Schmiede mit den neuen Maschinen zurechtkommen, muss er reagieren. Er gründet 1860 in der Schwetzingerstadt eine Reparaturwerkstatt, schickt seine Arbeiter regelmäßig zu Schulungen nach England und beginnt, Ersatzteile selbst herzustellen.

Das ist quasi der Probelauf. 1867 entschließt sich Lanz, selbst landwirtschaftliche Geräte zu produzieren. Im Jahr darauf entwickelt er gar eine Futterschneidmaschine, unter dem Namen „Mannheimer Maschine“ bekannt und bei der Landwirtschaftlichen Ausstellung Straßburg mit einer Goldmedaille bedacht. Schnell wächst sein Unternehmen. 1873 errichtet Lanz in der damals sich gerade entwickelnden Schwetzingerstadt, etwa zwischen dem Tattersall und der heutigen Heinrich-Lanz-Straße, eine Gießerei, 1888 bis 1890 folgt der Ausbau eines zweiten Firmensitzes auf dem Lindenhof.

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Starkes „Arbeitstier“: ein Lanz-Bulldog mit Pflug auf einem Feld im Jahr 1926.
BILD: JOHN DEERE /ARCHIV

Es beginnt das Jahrhundert der Mechanisierung, was aber auch zu Widerstand führt. So wird in einer Streitschrift der „Untergang der deutschen Pferdezucht“ befürchtet, von „Ruin“ und „Katastrophe“ gesprochen, wenn sich der „eisernes Pferd“ genannte Motorpflug durchsetzen sollte. Heinrich Lanz treibt aber die Entwicklung weiterer Maschinen voran, bis er 1905 stirbt. Seine Witwe Julia Lanz und die vier Kinder führen die Firma weiter, verlegen sie 1906 ganz auf den Lindenhof. In dieses Unternehmen tritt im September 1916 Fritz Huber als Konstrukteur und Leiter einer Entwicklungsgruppe ein, nachdem er im Ersten Weltkrieg gedient hat. 1881 geboren, stammt er aus einer Technikerfamilie aus Wasserburg in Oberbayern, studiert an der Technischen Hochschule München Maschinenbau und spezialisiert sich auf Motoren. Bei Lanz wirkt er zunächst am Bau von Zugmaschinen für die Artillerie mit. Als der Erste Weltkrieg vorbei ist, beginnt er wieder zu tüfteln. Ein sparsamer, einfacher Glühkopfmotor ist sein Ziel. „Der Motor des Bauern kann gar nicht einzylindrig genug sein“, wird als Leitsatz von ihm später überliefert, dazu „Die Landmaschine ist einfach, oder sie ist keine Landmaschine!“ Unempfindlich und robust soll sie sein, ganz leicht zu bedienen und genügsam, sprich mit billigsten Kraftstoffen, ja sogar Teerölen, Destillationsrückständen oder Spiritus zu betreiben.

Schon im Januar 1921 gelingt es Huber, dass seine Erfindung auf dem Fabrikhof auf dem Lindenhof tuckert. Da soll aber, so ist in einer alten Chronik zu finden, Huber die Maschine vor wartenden Journalisten beim Start rückwärts in die Dekoration gesetzt haben. Anders dann vom 16. bis 21. Juni 1921 in Leipzig, wo die Erfindung auf dem Stand Nummer 56 der Ausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft öffentlich präsentiert wird – als erster Rohölschlepper der Welt, ausgestattet mit 12 PS. Unbestätigten Überlieferungen zufolge sollen es Arbeiter der Firma Lanz sein, die diese Maschine wegen ihres ungewöhnlichen, gedrungenen und bullig wirkenden Erscheinungsbilds „Bulldog“ taufen – weil sie eine Parallele zu der grimmig schauenden und gedrungen wirkenden Hunderasse ziehen. Aber dieser Name setzt sich schnell – und positiv besetzt – durch, wird als Synonym für „Ackerschlepper“ gar in den Duden aufgenommen, wo er heute noch mit dem Zusatz „Zugmaschine mit Einzylindermotor“ steht. „Hier zieht der Bulldog Lasten schwer, bedeutend schwerer noch als er“, reimt die Lanz-Werbeabteilung. Ein weiterer Werbespruch auf einer Postkarte lautet: „Das alles tut der Bulldog willig, und dabei ist der Bulldog billig. Er schafft aufs Wort, zu jeder Frist. Gemeines Oel sein Fressen ist“. Das deutet darauf hin, wie genügsam und universell einsetzbar die Erfindung von Huber ist. Sie wird als mobiler „Gespannbulldog“, sprich für Transport und Antrieb für Dreschmaschinen, ebenso geliefert wie stationär als Triebkraft für Maschinen, als „Eisenbulldog“ mit Eisenrädern und als „Verkehrsbulldog“ mit Elastikbereifung. Legendär ist bis heute, wie der Start erfolgt: Erst das Vorheizen des Glühkopfes mit der Lötlampe, dann muss das Lenkrad am Motor angesetzt und als Schwungrad genutzt werden, um ihn auf Touren zu bringen.

Aber was in den 1920er Jahren zunächst nicht auf Touren kommt, ist die Wirtschaft, weshalb vielen Bauern die Preise für die Erfindung anfangs viel zu hoch sind. Was den Absatz ankurbelt, ist die Entwicklung eines vollgummibereiften Verkehrsbulldog, der 1924 auf eine spektakuläre Tour geschickt wird: eine Leistungsfahrt, ununterbrochen Tag und Nacht, von Mannheim auf die 1100 Kilometer lange Strecke nach Berlin. Als das Mannheimer Erzeugnis dort nach 17 Tagen – ohne Panne oder Unfall – ankommt und die Siegessäule umrundet, gibt es „viel Aufmerksamkeit und Beifall“, wie die Firmenchronik stolz vermerkt. Im Jahr darauf wird die Firma Lanz in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, wenngleich die Familie zunächst – bis 1931 – die Mehrheit hält. Zudem laufen ab 1925 Traktoren vom Band. Die Mannheimer Firma führt erstmals in Deutschland das Fließband ein; es hat 175 Meter Länge zur Großserienfertigung von Bulldogs mit 22 und 26 PS. Das bringt den Durchbruch auf dem Markt – zumal die Mannheimer Erfindung bei einem offiziellen Vergleich mit dem inzwischen von der amerikanischen Firma Ford gebauten Ackerschlepper bei Abnutzung, Brennstoffverbrauch und Zugkraft viel besser abschneidet. Die „Neue Mannheimer Zeitung“ meldet daher 1927, dass der „in Fließarbeit hergestellte Rohölschlepper sehr erfolgreich“ sei und die Firma daher eine zweite Fabrikationsabteilung einrichte. Nun könnten 18 Exemplare pro Tag gefertigt werden. „Beschäftigung und Auftragsbestand hierin ist laufend gut“, heißt es in dem Bericht.

Ehe der Zweite Weltkrieg ausbricht, ist Lanz der größte deutsche Landmaschinenhersteller. „Etwa die Hälfte aller Schlepper, die jährlich im Deutschen Reich zugelassen wurden, stammte aus Mannheim“, vermerkt die Firmenchronik stolz. Zum 60. Geburtstag wird der mittlerweile zum Direktor der Firma ernannte Fritz Huber in der Mannheimer Presse als der „geniale Schöpfer“ gerühmt. Mit seinem „kraftvollen, aufgeschlossenen Charakter“ stehe er gleichberechtigt neben den Motorenerfindern Otto und Diesel, habe er doch der Landwirtschaft mit dem Glühkopfmotor „die dritte Motorenbauart geschenkt“ und werde „immer der Pionier der Schlepperentwicklung bleiben“.

Noch 1942 verlässt der 100·000. Bulldog das Werk auf dem Lindenhof, und in diesem Jahr stirbt auch der Erfinder Fritz Huber. Für Neuentwicklungen bleibt im Zweiten Weltkrieg ohnehin keine Zeit. Bei Bombenangriffen werden 90 Prozent aller Gebäude zerstört. Aber der Wiederaufbau gelingt, und 1952 rollt im Februar der 150 000. Bulldog vom Fließband, 1956 schon das 200 000. Exemplar. Insgesamt werden 219 253 dieser Traktoren gebaut – bis 1960, aber zuletzt nicht mehr unter dem Namen „Lanz“. 1956 fusioniert das Mannheimer Unternehmen mit dem amerikanischen Landmaschinenhersteller John Deere. Das Unternehmen gilt heute in der Präzisionslandwirtschaft als Vorreiter – mit GPS für Traktoren sowie Sensoren, die messen, wo wie viel Dünger ausgebracht worden ist. PETER W. RAGGE