Wie gut, dass die Bauarbeiter zwei Tage später kamen. Denn Mannheim ist nicht nur heute eine Stadt der Baustellen, auch schon im Sommer 1886. Da werden nämlich die Straßen aufgerissen. Von 1886 bis 1889 ist am heutigen Friedrichsplatz der Wasserturm im Bau, und daher müssen Wasserleitungen anstelle der bisher üblichen Brunnen verlegt werden – auch vor T 6. Aber eben erst ab 5. Juli. Daher gelingt es Karl Benz am 3. Juli 1886, von seiner Werkstatt in T 6 aus auf den Friedrichsring zu fahren.„Ein mittels Ligroingas zu treibendes Veloziped, welches in der Rheinischen Gasmotorenfabrik von Benz & Cie konstruiert wurde und worüber wir schon an dieser Stelle, nämlich am 4. Juni, berichtet haben, wurde heute früh auf der Ringstraße probiert, und die Probe soll zufriedenstellend ausgefallen sein“, meldet die Abendausgabe der Neuen Badischen Landeszeitung. Es ist der erste Bericht weltweit über eine Autofahrt – auch wenn das Vehikel seinerzeit noch keinen Namen hat, erst von Benz als Motorwagen und später als Automobil bezeichnet wird. „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb“ nennt es Benz, und er bekommt es unter Nummer 37435 vom kaiserlichen Reichspatentamt anerkannt: die Geburtsurkunde des Autos. „Das erste Auto der Welt und für uns der Urknall unserer Firma“, so Ralph Wagenknecht, Pressesprecher vom Mercedes-Benz Museum.Der pferdelose Wagen, der „Selbstfahrer“ für die Straße, die Mobilität – das alles ist sein Ziel. Seine Vision bringt er nacheinander er mit vielen einzelnen genialen Erfindungen auf den Weg und in der Summe eben das Auto: dem Zweitakt-Motor, dem leichten Viertakter, der Achsschenkellenkung, Differential, Vergaser, Wasserkühler, der Gangschaltung. „Im Gegensatz zu Daimler und Maybach, die ihre Motoren vielseitig einsetzten, wollte Carl Benz vor allem die Einheit Kraftwagen bauen,“ stellt Winfried Seidel klar, der Leiter des Benz-Museums Ladenburg.Mobilität lag dem am 25. November 1844 in Mühlburg (das heute zu Karlsruhe gehört) geborenen Carl Benz im Blut – Vater Georg war Lokomotivführer. Der Vater stirbt aber früh, und der Junge Carl verdient sich Geld durch die Reparaturen von Schwarzwalduhren. Enormen Antrieb gibt ihm das Maschinenbau-Studium am Polytechnikum in Karlsruhe von 1860 bis 1864. Er experimentiert an einer Alternative zur Dampfmaschine. Kurze Zeit arbeitet er nach dem Studium in Karlsruhe im Lokomotivenbau, kommt dann 1866 nach Mannheim, zur Waagenfabrik Mohr & Federhaff, wo er erst als Zeichner und dann als Konstrukteur arbeitet. 1869 wechselt er zu einer Pforzheimer Brückenbaufirma, lernt dort auch seine spätere Frau Bertha Ringer kennen. 1871 entschließt sich der junge Ingenieur, sich in der aufstrebenden Industriestadt Mannheim selbstständig zu machen. Er gründet in T 6, 11 das Unternehmen „Carl Benz und August Ritter, mechanische Werkstätten.“ Die Partnerschaft mit Ritter hält nicht lange, seine Braut und spätere Ehefrau Bertha erbittet vom Vater die Mitgift und zahlt den Partner aus – noch vor der Eheschließung am 20. Juli 1872. Benz hält die „Eisengießerei und mechanische Werkstätte“, wie die Firma heißt, gerade so über Wasser. Parallel tüftelt er an einem Zweitaktmotor. Doch der Motor lauft nicht, aber seine Frau steht unverbrüchlich zu ihm, ermuntert und bestärkt ihn, obwohl zwischendurch die Pfändung droht.Die Wende bringt die Silvesternacht 1879, und das Ehepaar steht vor dem Motor als „großem, schwer enträtselbaren Geheimnis“, wie Benz in seinen Erinnerungen schreibt. Die Maschine, die ein PS bei 200/300 Umdrehungen in der Minute leistet, springt an. „Endlich war die Stunde gekommen, die ich jahrelang erhofft hatte“, zitiert Winfried Seidel, Inhaber des Benz-Museums den berühmten Konstrukteur: „Was ich in schlaflosen Nächten erdacht und ersonnen hatte, was am Reißbrett konstruiert und berechnet worden war, sollte in die Tat umgesetzt werden.“ Der Erfinder spricht vom „leibhaftigen Glück“, und bei den Silvesterglocken denkt er: „Uns war’s, als läuteten sie nicht nur ein neues Jahr, sondern eine neue Zeit ein, jene Zeit, die vom Motor den neuen Pulsschlag empfangen sollte“.Aber das mit der neuen Zeit – es geht nicht so schnell. Benz beginnt mit dem Bau des Motorwagens, gründet dazu 1882 mit acht Teilhabern die „Gasmotorenfabrik in Mannheim“, in die er seine Werkstatt in T 6 als Einlage einbringt. Aber er verkracht sich mit den Aktionären, weil ihm einer der Teilhaber zu viel in seine Entwicklung hineinredet. 1883 steigt Benz aus, steht vor dem Nichts. Aber er hat Glück. Er gewinnt zwei neue Partner, gründet 1883 die „Benz & Co. Rheinische Gasmotorenfabrik Mannheim“, die ein neues Areal an der Waldhofstraße bezieht – wo noch heute Caterpillar als Nach-Nachfolger des ursprünglichen Unternehmens sitzt. Das Anwesen in T 6 kauft er von der alten Gesellschaft zurück. Während in der Waldhofstraße stationäre Motoren hergestellt werden, tüftelt er hier an seiner Idee einer fahrbaren Kutsche ohne Pferde. 1885 ist der dreirädrige Motorwagen fertig und Benz traut sich, zu ersten Ausfahrten zu starten, zunächst nur im Hof der Werkstatt, dann rund um die Werkstatt: „Die Menschen sammeln sich an, lächeln und lachen. Das Staunen und Bewundern schlägt um in Mitleid, Spott und Hohn“, heißt es in seinen Erinnerungen. Es sollen sogar Stimmen laut geworden sein, die forderten: „Wirf den Stinkkasten in den Neckar.“ 1886 ist Benz so weit, dass er das Patent anmeldet - die Erfindung, Fahrzeug und Motor zu einer mobilen Einheit zu verschmelzen, ist damit gelungen und dokumentiert.Aber kaufen will das komische Gefährt zunächst kaum jemand. Man traut dem Fortschritt nicht. Aber seine Frau gibt keine Ruhe – sie will den Erfolg und daher ist es Bertha Benz, die Idee und den Mut zu einer beispiellosen Aktion hat. Sie schnappt – ohne Wissen ihres Mannes – ihre beide Söhne und startet im August 1888 zu einer Überlandfahrt. Irgendwo sitzt tief in ihr drin, was sie durch Zufall mal in der Familienbibel gelesen hat. „Leider wieder nur ein Mädchen“, soll der geliebte Vater da anlässlich ihrer Geburt aufgeschrieben haben. Der Legende nach löst das in ihr den Wunsch aus, der Welt zu beweisen, dass auch Angehörige weiblichen Geschlechts Weltbewegendes leisten können. 106 Kilometer fährt die Auto-Pionierin auf staubigen Feldwegen, von Mannheim nach Pforzheim. Zwischendurch „tankt“ Berta in einer Apotheke in Wiesloch Legroin (Benzin), wo der Apotheker glaubt, sie wolle „Waschbenzin“ um ihr verschmutztes Kleid zu säubern. Mit ihrer Haarnadel hatte sie nämlich immer wieder die verstopfte Benzinleitung freigemacht und zu einer Reparatur ihr Strumpfband benutzt. „Sie musste sich an Flussläufen und Bahnlinien orientieren, Straßenschilder gab es ja noch nicht“, erläutert Winfried Seidel die unglaubliche Leistung der ersten „Fernfahrerin“. Die spektakuläre Fahrt bringt – langsam – den Durchbruch für das Auto. Aber immer wieder kommt es zu Rückschlägen. So wird einer der ersten kaufwilligen Kunden so krank, dass er ins Irrenhaus muss – und das verleitet Spötter zu der Annahme, das hänge mit seinem Kaufinteresse für dieses neuartige Gefährt zusammen. „Wie kann man sich in einen unzuverlässigen, armseligen, lautlärmenden Maschinenkasten setzen, wo es doch genug Pferde gibt auf der Welt?“, habe man ihn immer wieder gefragt, so Benz in seinen Erinnerungen. „Stinkkarre“ wird seine Erfindung geschmäht. Aber er setzt sich durch, verkauft schon von dem nun vierrädrigen Modell „Velo“, das eine Geschwindigkeit von bis zu 40 Kilometern in der Stunde erreicht, 1200 Fahrzeuge. PETER W. RAGGE