Streit mit Käfertal – den gibt es eigentlich immer, seit es Mannheim gibt. Zwar zählt die Gemarkung des Vororts „zu einem der am wenigsten geklärten Gebiete unserer engen Heimat“, wie der Ortshistoriker und ehemalige Rektor Leo Pfanz-Sponagel mal in einer Veröffentlichung bedauert hat. Immer wieder aufflammende Grenzstreitigkeiten und Disput darüber, wer hier die Steuer eintreiben darf, sind indes seit dem Mittelalter aus dieser Gegend überliefert – was sich bis ins 19. Jahrhundert auswirkt.

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Die „Kolonie Waldhof“


Der Grund ist das seit 766 belegte Dorf Dornheim, das westlich der Au bis zum heutigen Mannheimer Hauptfriedhof verortet wird – der Neckar und der Rhein verlaufen ja seinerzeit noch ganz anders. Der Fluss muss diese Siedlung bei einem Hochwasser im 13. Jahrhundert weggerissen haben; jedenfalls verschwindet es 1236 für immer von der Landkarte und die Bewohner siedeln sich weiter nordöstlich im heutigen Käfertal an, das in einer auf „Cheverndal“ ausgestellten Urkunde des Pfalzgrafen erstmals 1227 belegt ist. Doch wer auf einst zu Dornheim zählendem Land Steuer erheben und die Gerichtsbarkeit ausüben darf, bleibt Streitpunkt.

Bei der Gründung von Festung und Stadt 1606 werden die Gemarkungen von Dornheim ebenso wie die von Rheinhausen (heute Schwetzingerstadt) Mannheim zugeschlagen. Damit ragt das Gebiet der neuen Quadratestadt wie ein Keil in Käfertaler Fläche hinein, bis zum heutigen Bäckerweg und tief in den Wald kurz vor dem – damals noch nicht existierenden – Karlstern. Dagegen erstreckt sich das wohlhabende Bauerndorf Käfertal weit westlich bis an den Rhein. Mannheim erhebt aber immer mal wieder Ansprüche, und die – mehrfach unterbrochenen – Verhandlungen unter Beteiligung des Großherzogtums ziehen sich bis zu einem Kompromiss 1882.

Damit sind aber nicht alle Konflikte ausgeräumt. Die Käfertaler ärgert, dass ihr Pfuhlloch, also die Fäkaliengrube im heutigen Wohlgelegen, auf fremder Gemarkung liegt. Dabei brauchen sie den Dung, weil ihre Sandäcker sonst nicht genug Ertrag abwerfen. Mannheim wiederum braucht den Käfertaler Wald. Dort erwirbt die Stadt von der Gemeinde Käfertal 1884 für 64·000 Mark das Recht, ein Wasserwerk zur Versorgung ihrer stark wachsenden Bevölkerung zu errichten. Es wird 1886 bis 1888 gebaut, aber zu klein – man kalkuliert keine Erweiterung ein, und als sie nötig wird, reagieren die Käfertaler störrisch.

Zu jener Zeit entstehen auch innerhalb von Käfertal immer mehr Konflikte. Die alte Kerngemeinde ist sehr stark landwirtschaftlich-dörflich geprägt. Doch die bis zum Altrhein reichende „Kolonie Waldhof“ mit der 1853 auf billigem, weil nicht sehr fruchtbaren Sandboden gegründeten Spiegelfabrik (zuletzt Saint Gobain) und der Spiegelsiedlung mit ihren Arbeiterhäusern wird zum sehr stark wachsenden Industriestandort. 1869 kommen der Verein Chemischer Fabriken (später Weyl), ab 1882 Boehringer Mannheim (heute Roche), dann eine Eisengießerei und die Draiswerke dazu. Daher siedeln sich dort nun zahlreiche Arbeiter an.

Bauern in der Minderheit

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Blick in die Enzianstraße – eine typische Wohnstraße im alten Teil von Käfertal. BILD: MICHAEL RUFFLER

1895 passiert es dann, dass im alten Käfertaler Dorf 3121 und damit erstmals weniger Menschen leben als auf dem zur Industriesiedlung gewandelten Waldhof, das 3541 Einwohner zählt – nicht gerechnet die Mannheimer Bürger, die in den Fabriken auf dem Waldhof Arbeit finden. Der Badische Staat ordnet die ganze hier entstehende Industrie – wozu auch die Zellstofffabrik auf Sandhofener Gemarkung zählt – ohnehin einfach Mannheim zu. Die Bauern, die lange Käfertal geprägt haben, geraten also in die Minderheit. Aber sie haben die größeren Rechte. Wer zu den alten Dorfbewohnern zählt, dem steht sogenannter „Bürgernutzen“ zu – kostenloses Brennholz aus dem Gemeindewald, Weiderechte auf gemeindeeigenen Feldern oder die Möglichkeit, deren Ackerflächen zu bewirtschaften. Zugezogene dürfen das nicht.

Dies schürt Unmut, denn die Waldhöfer fühlen sich von den Käfertalern vernachlässigt, klagen über schlechte Straßen, die weit entfernte Schule und die fehlende Kanalisation. Käfertal gibt aber mehr Geld für die Zuchttiere aus, obwohl es kaum noch Tierzüchter gibt, als für den „Nebenort“ Waldhof. So etwas gefährdet auf Dauer den Dorffrieden.

Ein Vorschlag der Badischen Staatsregierung schon Mitte des 19. Jahrhunderts, den da gerade erst industriell wachsenden Waldhof Mannheim zuzuschlagen, lehnen die Mannheimer brüsk als „wenig erwünscht“ ab. Waldhöfer Bürger fühlen dennoch zwischendurch immer mal wieder vor, ob Mannheim nicht doch Interesse hätte.

Harte Bedingungen

Dieses Interesse formuliert Oberbürgermeister Otto Beck, 1891 bis 1908 amtierend. Am 5. Juni 1892 legt er eine – mit den badischen Staatsbehörden abgestimmte – Denkschrift zur, wie man das damals nennt, „Einverleibung“ vor. Er argumentiert nicht nur mit der nötigen Erweiterung des Wasserwerks, sondern auch mit dem Mannheimer Interesse am geplanten Ausbau des – an den Waldhof grenzenden – Industriehafens. Bei seinem Gemeinderat stößt Beck damit auf Zustimmung, nicht aber in Käfertal. Dort gibt es bei der ersten Abstimmung eine überwältigende Mehrheit gegen einen Anschluss an Mannheim.

Ein paar Wochen später werden harte Bedingungen formuliert und trotzdem sperren sich besonders die alten Dorfbewohner, während Vertreter der Waldhöfer Industriebetriebe ganz offensiv für den Zusammenschluss werben. Im Mai 1893 verliert Mannheim die Geduld. Die Stadt beantragt bei den badischen Staatsbehörden, begründet mit der gefährdeten Wasserversorgung, die „zwangsweise Einverleibung“. Davor scheut der Großherzog indes zurück, schickt jedoch einen Landeskommissar, der vermitteln soll.

Vergeblich – die Käfertaler bieten ihr Gelände nur zum Kauf an, zu ziemlich hohen Preisen. Im März 1896 aber wendet sich das Blatt. Es wird immer deutlicher, dass die genannwachsende Zahl von Fabrikarbeitern unter den Einwohnern, ohnehin vom althergebrachten „Bürgernutzen“ ausgeschlossen, endlich an den Errungenschaften der Großstadt teilhaben will. Wegen „arger Missstände im Gemeindewesen“ schicken 30 Bürgerausschussmitglieder und 176 weitere Käfertaler einen Brief nach Mannheim. Ganz offen regen sie eine „Vereinbarung inclusive Einverleibung“ an. Dem werde „kein Hinderniß im Wege stehen“. Sie „ersuchen den Verehrlichen Stadtrath Mannheim, in thunlichster Bälde zu gedachtem Zweck in Unterhandlung zu treten“, wenngleich sie einige Bedingungen stellen.

Dann geht es schnell: Am 9. Mai treffen sich je vier Vertreter Mannheims und des Käfertaler Gemeinderat unter Vorsitz eines Vertreters des badischen Innenministeriums und einigen sich über „Grundsätze betreffend die Vereinigung“. Am 15. Mai stimmt Mannheims Stadtrat zu, am Tag darauf die Käfertaler Gremien (wenngleich im Bürgerausschuss nach leidenschaftlicher Diskussion mit 35 Ja- und zwölf Gegenstimmen) und am 21. Mai wiederum der Bürgerausschuss Mannheims. Schnell folgt am 27. Juni 1896 auch die Zustimmung durch den Badischen Landtag.

Straßenbahn verlängert

Der Vertrag sieht vor, dass die bisherigen Käfertaler, also alle angestammten Einwohner des alten Teils im Alter von über 25 Jahren, ihr Bürgerrecht behalten – sprich Holz aus dem Wald sowie Nutzung von Ackerland und Weidestücken. Käfertal darf zwei Stadträte in das entsprechende Mannheimer Gremium entsenden und neun Mitglieder in den Bürgerausschuss. Käfertaler Beamte werden zu gleichen Bezügen in den Dienst der Stadt übernommen.

Sie sichert zugleich zu, ein Gemeindesekretariat genanntes ständiges Büro (heute als Bürgerservice bezeichnet) einzurichten und dass „besonderen Verhältnissen dieses Stadtteils tunlichst Rechnung getragen werde“. Das Gelände am Industriehafen fällt sofort der Stadt zu mit der Auflage, die Bauern für ihre schon ausgebrachte Saat und ihre Arbeit zu entschädigen.

Zu diesen Bedingungen werden Käfertal und Waldhof per Vertrag zum 1. Januar 1897 eingemeindet, vollzogen aber erst am 1. Juli 1897. 1899, als Mannheim elektrifiziert wird, verlangt Oberbürgermeister Beck von dem mit dem Kraftwerksbau beauftragten Unternehmen, dass es sich in der Stadt ansiedelt: Es ist BBC, das dann in Käfertal heimisch wird, das so zunehmend den Charakter als Bauerndorf verliert.

Mannheim überschreitet mit der Eingemeindung die Zahl von 100 000 Einwohnern und erlangt so den Rang einer Großstadt. Die Gemarkung wächst um nahezu zwei Drittel. Käfertal ist eine begehrte Braut mit viel „Mitgift“. Sie bringt nicht nur ein beachtliches bewegliches Vermögen von Fuhr- und Feuerwehrgeräten mit. Dazu kommt das 1819 erbaute, erst 1881/82 erneuerte klassizistische Rathaus.

Das Dorf ist reich; fast die Hälfte der 1776,44 Hektar umfassenden Käfertaler Fläche sind gemeindeeigene Grundstücke, die der Stadt zufallen – Felder und Wald ebenso wie Liegenschaften am Industriehafen. Auch viele Industriebetriebe mit beachtlichen Steuereinnahmen zählen nun zu Mannheim. Auf 1,18 Millionen Mark wird das Gemeindevermögen beziffert, das nun die Stadt erhält. Mannheim muss aber auch etwas tun: Die Stadt baut in Käfertal ein Schulhaus, sorgt für den Anschluss an das Gas- und Wassernetz sowie die Kanalisation, bessert Straßen aus und ab 1903 verkehrt die städtische Straßenbahn, welche die Gleise der schon bestehenden Nebenbahn Mannheim – Käfertal – Viernheim – Weinheim nutzt, bis Käfertal. Peter W. Ragge