Herr Becker, Herr Uytdewilligen, vor 100 Jahren wurde die Grosskraftwerk Mannheim AG gegründet. Was bedeutet das für Sie?

Holger Becker: Ich bin beeindruckt von der Pionierleistung der Gründer. Sie haben sich damals, in einer für Deutschland und Mannheim sehr schwierigen Zeit, dazu entschieden, etwas komplett Neues zu machen: Umgeben von Streuobstwiesen haben sie hier eine zentrale Energieversorgungsanlage aufgebaut, um den aufkommenden Energiehunger dieser Zeit zu stillen. Das war damals ein ganz wichtiger Schritt für die Region. Und diese Wichtigkeit des GKM besteht nach wie vor – und wird uns auch in die Zukunft tragen. Das ist für mich die Konstante der Geschichte.

Gerard Uytdewilligen: Das ist auch für mich der zentrale Punkt: die große Bedeutung des GKM für Mannheim und die Region. Und ich muss sagen: Jedes Mal, wenn ich sonntagabends auf der Fahrt von den Niederlanden hierher wieder die Silhouette des GKM sehe, bin ich stolz darauf, hier arbeiten zu dürfen.

Warum stolz?

Uytdewilligen: Zum einen, weil wir hier eines der modernsten Steinkohlekraftwerke in ganz Europa haben. Das GKM hat sich in den vergangenen 100 Jahren immer wieder neu an den jeweiligen Bedarf angepasst. Und zum anderen, weil es auch in einer anderen Beziehung etwas ganz Besonderes ist: Es existiert schon so lange, dass es innerhalb der Stadt eine echte Institution darstellt und mit Neckarau und der Rheinau quasi zusammengewachsen ist. Das ist eine richtige Symbiose. Wir erleben eine große Wertschätzung durch unsere Nachbarschaft! Das freut uns sehr, da dies sicherlich nicht überall so ist.

Wann waren Sie eigentlich zum ersten Mal in Neckarau?

Becker: Ich glaube 1980/81 mit der B-Jugend. Ich komme ja aus der Karlsruher Ecke und habe beim TSV Reichenbach Fußball gespielt – damals in der höchsten Jugendliga. Deshalb sind wir auch regelmäßig zu Spielen nach Mannheim gefahren. Und ich kann mich noch gut daran erinnern, dass die Zuschauer in Neckarau immer besonders emotional bei der Sache waren. Während des Studiums habe ich dann am Hans-Sachs-Ring gewohnt. Dass ich hier irgendwann einmal arbeiten würde, hätte ich damals auch nicht gedacht – das ist für mich sozusagen ein Volltreffer...

Uytdewilligen: Ich muss gestehen, dass ich früher auf der Fahrt in den Urlaub meistens an Mannheim vorbei gefahren bin. Aber inzwischen komme ich jedes Mal sehr gerne hierher – und würde den Weg auch im Schlaf finden.


Vor 100 Jahren befand sich Deutschland mitten in einem gewaltigen gesellschaftlichen Umbruch. Heute steht uns mit der Energiewende wieder eine riesige Umwälzung bevor. Wird das GKM diese überstehen?

Becker: Auf jeden Fall! Denn das GKM hat sich in der Vergangenheit nicht nur immer wieder den Umständen angepasst: Es war immer auch ein Motor für technischen Fortschritt und Innovationen.

Uytdewilligen: Darum sind wir auch überzeugt davon, dass wir in der Zukunft ebenfalls unseren Platz finden werden und eine wichtige Rolle spielen können. Die wird zwar etwas anders aussehen als in der Vergangenheit. Aber dieser Standort hier am Rhein ist einfach klasse. Den haben die Gründer so gut ausgewählt und ihre Nachfolger dann – beispielsweise mit der Anbindung an zwei Übertragungsnetze – so hervorragend weiterentwickelt, dass er prädestiniert dafür ist, auch zukünftig eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung zu übernehmen.

Dennoch gibt es Umweltschützer, die das GKM lieber heute als morgen abschalten würden, weil es jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen CO2 ausstößt...

Becker: Wir sind in Deutschland noch lange nicht so weit, dass wir allein durch erneuerbare Energien wie Wind- und Solarkraft unseren gesamten Bedarf decken können. Zumal der Stromverbrauch langfristig deutlich steigen wird. Wir sehen jeden Tag aufs Neue, wie oft wir von den Übertragungsnetzbetreibern aufgefordert werden, unsere Anlagen hochzufahren, um das Stromnetz zu stabilisieren. Das zeigt uns deutlich: Ohne uns geht es nicht. Das sehen übrigens auch die Behörden so, deshalb durften wir Block 7 ja nicht abschalten, sondern müssen ihn mindestens bis 2025 – vermutlich sogar noch länger – als Reserveblock bereithalten. Und solange der Ausbau der Übertragungsnetze weiterhin so schleppend verläuft, wird sich daran auch nichts ändern.

Uytdewilligen: Der Knackpunkt ist vor allen Dingen die gesicherte Leistung: Egal, wie viele Windräder oder Photovoltaikanlagen Sie auch bauen – wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, braucht es Ersatzlösungen, um eine gesicherte Leistung garantieren zu können. Das wird noch eine große Herausforderung! Es ist zu einfach zu denken, dass man nur mit Wind und Sonne ein Energiesystem wie unseres aufrecht erhalten kann. 
      

„Wir werden auch in der neuen Welt unseren Platz finden“-2
Holger Becker ist der Kaufmännische Vorstand des GKM. BILD: GKM


Der Kohleausstieg ist aber gesetzlich beschlossen. Und die Signale aus Berlin gehen eindeutig in die Richtung, dass er sogar vorgezogen werden soll. Womit rechnen Sie?

Becker: Vieles deutet im Moment darauf hin, dass der Kohleausstiegspfad nochmals verändert werden soll. Ob das dann jedoch vor allem die Braunkohle betrifft, die bei dem ganzen Prozess ja bevorzugt worden ist, oder auch uns, lässt sich zurzeit noch nicht sagen. Da müssen wir abwarten, zu welchen Ergebnissen eine künftige Bundesregierung und dann schließlich der Bundestag kommen werden. Auf Basis der aktuellen gesetzlichen Bestimmungen rechnen wir mit dem Ende der Kohleverstromung im GKM im Jahr 2033. Aber wie gesagt: Je nach politischem Beschluss könnte es auch schon 2030 soweit sein. Trotzdem sind wir weiterhin davon überzeugt: Das Ende der Kohle wird nicht das Ende des GKM sein. Wir haben so einen tollen Standort und so eine kompetente und engagierte Mannschaft, dass wir auch in der neuen Welt unseren Platz finden werden.

Wie wird diese neue Welt denn aussehen?

Uytdewilligen: Sie wird auf alle Fälle kleinteiliger sein. Es wird nicht mehr wie bislang die eine Erzeugungsart geben – sondern mehrere nebeneinander.

Was heißt das konkret fürs GKM?

Becker: Ganz genau können wir das derzeit nicht sagen, weil alles von den Rahmenbedingungen abhängt, die der Gesetzgeber vorgeben muss. Und das sollte er möglichst schnell tun: Spätestens in den nächsten ein, zwei Jahren muss die neue Bundesregierung verbindlich erklären, welche Art der Energieerzeugung künftig gewünscht ist und entsprechend gefördert wird. Denn die Investitionszyklen in der Energiewirtschaft sind lange: Wenn ich heute die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffe, habe ich nicht morgen oder übermorgen die entsprechenden Kapazitäten – sondern vielleicht in vier, fünf, sechs Jahren. Wenn sich also nicht schnell etwas tut, wird die Energiewende gegen die Wand fahren. Und dann können wir unsere Klimaschutzziele für 2030 und 2045 gar nicht erreichen! Die Politik muss jetzt wichtige Richtungsentscheidungen treffen. Und dann sind wir auch bereit, unseren Beitrag zu leisten: Wir glauben, dass die nachhaltige Energieerzeugung der Zukunft mit dem GKM stattfinden wird.

Was könnten Sie denn alles hier umsetzen?

Becker: Eigentlich fast alles. Das Erste wird sicherlich eine Flusswärmepumpe sein, die wir gemeinsam mit der MVV bauen wollen und die hier installiert wird. Sie soll dem Rhein Wärme entziehen und in das Fernwärmenetz einspeisen. Das wird ein neues Standbein für das GKM sein, das auf Jahrzehnte hinaus insbesondere für die grüne Fernwärme eine große Bedeutung haben wird. 
        

„Wir werden auch in der neuen Welt unseren Platz finden“-3
Die Blöcke des Grosskraftwerks Mannheim (GKM)


Welche weiteren Möglichkeiten gäbe es noch?

Becker: Vermutlich wird Geothermie ebenfalls ein Thema werden, auch wenn da der Diskussionsprozess sicherlich noch lange nicht abgeschlossen ist. Außerdem könnte man hier ein weiteres Biomasse-Kraftwerk bauen – entweder, indem eine bestehende Anlage umgerüstet oder eine neue errichtet wird. Der Platz wäre auf jeden Fall vorhanden. Und dann muss man sehen, ob wir auch bei Wasserstoff, Biogasen oder der Methanisierung eine Rolle spielen können. Wir sind von unserem Kompetenzprofil und unseren Mitarbeitern her so ausgestattet, dass es für uns prinzipiell fast egal ist, wohin die Reise geht: Wir können alles. Und wir sind auf alles vorbereitet.

Uytdewilligen: Entscheidend für jede weitere Investition sind aber zunächst einmal die Rahmenbedingungen. Denn ohne Förderungen rechnet sich das alles nicht. Darum muss die Politik jetzt Fakten schaffen und sie klar auf den Tisch legen. Dann werden wir die Chancen ergreifen. Und wir sind uns sicher, dass es dann auch gelingen wird.

Ist auch eine Gas- und Dampfturbinen-Anlage für Sie noch eine Option oder hat sich das mit der Ablehnung des Aufsichtsrats im vergangenen Herbst erledigt?

Becker: Prinzipiell ist das immer ein Thema – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Zuletzt war es so, dass uns nicht garantiert werden konnte, rechtzeitig die benötigten Gaskapazitäten zur Verfügung zu haben, um daraus ein schlüssiges Geschäftsmodell zu entwickeln: Denn die Förderungen für diesen sogenannten Brennstoffwechsel sind mit jedem Jahr gesunken. Sollte sich das jedoch ändern, könnten wir unsere Pläne jederzeit wieder aus der Schublade holen.

Was bedeutet das alles für Ihre Mitarbeiter?

Uytdewilligen: Uns ist bewusst, wie schwierig die aktuelle Situation für unsere Belegschaft sein muss. Grundsätzlich braucht sich im GKM keiner um seinen Arbeitsplatz Sorgen zu machen. Doch was wir jetzt brauchen, sind konkrete Beschlüsse und Entscheidungen der Politik. Dann können wir neue Aktivitäten planen, die Wirtschaftlichkeit beurteilen und darüber entscheiden. Denn dabei gibt es große Unterschiede: Für ein Biomasse-Kraftwerk brauchen Sie beispielsweise mehr Mitarbeiter als für eine Flusswärmepumpe. Klar ist allerdings, dass wir die Mannschaft noch flexibler als bisher einsetzen werden müssen. Und natürlich ist es so, dass die kleineren Erzeugungsarten auch weniger Mitarbeiter brauchen. Das heißt, es werden in Zukunft sehr wahrscheinlich nicht mehr die 500 sein, die wir heute haben.

Becker: Außerdem gibt es gewisse Unsicherheiten bezüglich der Dauer unserer Systemrelevanz, welche die Planbarkeit der Transformation für unsere Mitarbeiter erschweren: Einerseits erwarten wir von ihnen, dass sie motiviert ihren Job erfüllen, andererseits wissen unsere Kolleginnen und Kollegen nicht, wie lange Block 7 noch als systemrelevant eingestuft wird. Mindestens bis 2025, vermutlich auch noch länger, aber wie lange denn? 2026, 2027 oder 2028? Ich kann es nicht sagen, denn ich weiß es selbst nicht! Sicher ist allerdings, dass wir unsere Leute nicht im Regen stehen lassen werden. Das heißt, wir stehen weiter zu unserer Aussage: Betriebsbedingte Kündigungen wird es bei uns nicht geben. Martin Geiger 

Gerard Uytdewilligen

■ Geboren 1959 in den Niederlanden.
■ Uytdewilligen hat Energie- und Prozesstechnologie an der Universität Twente, Enschede, studiert und einen Master of Business Administration an der TiasNimbas, Bradford University, gemacht.
■ Seit Januar 2019 ist er Technischer Vorstand des GKM.
■ Im Juli dieses Jahres ist sein Vertrag bis 2024 verlängert worden

Holger Becker

■ Geboren 1965 in Karlsruhe.
■ Becker hat BWL in Pforzheim sowie Wirtschaftsingenieurwesen in Mannheim studiert.
■ Seit April 2017 ist er Kaufmännischer Vorstand des GKM. Zuvor war er 24 Jahre bei der EnBW tätig, unter anderem im Bereich Controlling und im Ressort Technik.
■ Im Januar 2020 ist sein Vertrag um fünf Jahre verlängert worden.